Kleine Anfrage zur medizinischen Verwendung von Cannabis durch Die Linke im Deutschen Bundestag

Die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag hat eine kleine Anfrage „Legalisierung von Cannabis-Medikamenten zur Therapie von schweren Erkrankungen“ (Bundestagsdrucksache 17/3554) an die Bundesregierung gestellt, die am 18. November 2010 auf die Fragen geantwortet hat. Hier einige Auszüge.

„Frage Nr. 4:
Für welche Fertigarzneimittel und für welche Indikationsgebiete außerhalb der Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose wurden bisher Zulassungsanträge beim BfArM gestellt?

Antwort:
Gegenwärtig ist beim BfArM ein Zulassungsantrag der Fa. Bionorica für ein dronabinolhaltiges Arzneimittel anhängig. Nach Angaben des Antragstellers wird eine Zulassung für die Indikationen Gewichtsverlust, Übelkeit und Erbrechen bei AIDS, Krebserkrankungen und Krebschemotherapie angestrebt.

(…)

Frage Nr. 7:
Wie viele Ausnahmegenehmigungen nach § 3 Abs. 2 BtMG zur medizinischen Verwendung von Cannabis in Deutschland wurden bisher beim BfArM beantragt? Wie vielen Anträgen wurde stattgegeben, wie viele Anträge wurden abgelehnt und wie viele Anträge wurden noch nicht beschieden (bitte jeweils für die Anwendung im Rahmen von Eigenanbau, von importierten Medizinal-Hanfblüten sowie sonstigen Anwendungen sowie den jeweiligen Indikationen einzeln auflisten)?

Antwort:
Seit dem Urteil des BVerwG vom 19. Mai 2005 haben 156 Patientinnen und Patienten beim BfArM Anträge auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Cannabis zur Anwendung im Rahmen einer ärztlich begleiteten und betreuten Selbsttherapie gestellt.

54 Patientinnen und Patienten erhielten eine entsprechende Erlaubnis. Davon wurden 34 für den Erwerb von Cannabis-Blüten und 22 für den Erwerb von Cannabis-Extrakt erteilt. Zwei Patienten erhielten sowohl eine Erlaubnis für Cannabis-Blüten als auch -Extrakt.

Diesen Erlaubnissen liegen folgende ärztliche Diagnosen zugrunde:
Chronische Schmerzen – 21 Fälle,
Schmerzhafte Spastik bei Multipler Sklerose – 17 Fälle,
Tourette-Syndrom – fünf Fälle,
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom – zwei Fälle,
Blepharospasmus – ein Fall,
Bronchialkarzinom, Schmerz – ein Fall,
Hepatitis C, HIV-Infektion – ein Fall,
Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie mit Schmerzzuständen und Spasmen – ein Fall,
Morbus Crohn – ein Fall,
Posner-Schlossmann-Syndrom – ein Fall,
schmerzhafte Spastik bei Syringomyelie – ein Fall,
Tetraspastik nach infantiler Cerebralparese – ein Fall,
Thalamussyndrom bei Zustand nach Apoplex – ein Fall.

Von den insgesamt 54 Patientinnen und Patienten verfügen derzeit noch 42 über eine Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG, da zwischenzeitlich 12 Patientinnen und Patienten verstorben sind oder ihre Erlaubnis an das BfArM zurückgegeben haben.

Von den bislang 156 Anträgen wurden 34 zurückgenommen. Zehn Anträge werden auf Wunsch der Antragstellerinnen und Antragsteller derzeit nicht bearbeitet. 42 Anträge wurden abgelehnt (davon drei auf Eigenanbau von Cannabis). Weitere 38 Anträge befinden sich in verschiedenen Stadien der Bearbeitung.

(…)

Frage Nr. 10:
Wie hoch sind die durchschnittlichen Kosten für die Patientinnen und Patienten bei der legalen Verwendung von Cannabis oder synthetischen Cannabinoiden (bitte nach Art der Wirksubstanzen bzw. verwendeten Pflanzenteile aufschlüsseln und die verschiedenen Ausnahmegenehmigungen einbeziehen)?

Antwort:
Bisher gibt es in Deutschland in dem mit der Frage angesprochenen Bereich kein zugelassenes Fertigarzneimittel (siehe auch Antwort zu Frage 5). Entsprechende Wirkstoffe müssen (unabhängig davon, ob sie pflanzlichen oder synthetischen Ursprungs sind) nach dem BtMG verkehrs- und verschreibungsfähig sein, um als Rezepturarzneimittel in einer Apotheke hergestellt werden zu können. Die Einkaufspreise für die Ausgangssubstanz hängen zum einen davon ab, ob diese im Einzelfall aus dem Ausland eingeführt werden muss, und zum anderen, in welcher Menge und Dosierung das Rezepturarzneimittel hergestellt wird. Der Herstellungspreis der Apotheke richtet sich nach den Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung. Danach ist bei der Abgabe einer Zubereitung aus einem Stoff oder mehreren Stoffen ein Festzuschlag von 90 Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis ohne Umsatzsteuer für Stoffe und erforderliche Verpackung, ein nach Art der Darreichungsform festgelegter Rezepturzuschlag sowie die Umsatzsteuer zu erheben. Genaue Endpreise für Cannabis-Blüten oder Cannabis-Extrakt, die erst eine hinreichende Ermittlung durchschnittlicher Kosten ermöglichen würden, liegen der Bundesregierung nicht vor. Vereinzelte Rückmeldungen von Patientinnen und Patienten lassen vermuten, dass die Preisgestaltung der Apotheke differiert. Zudem ist bei den Therapie-Kosten auch die individuelle Dosierung der Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen.

Frage Nr. 11:
Wie viele dieser Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen regelhaft übernommen (bitte wiederum wie in Frage 10 aufschlüsseln)?

Antwort:
Es gibt keine regelhafte Kostenübernahme für Cannabis bzw. cannabinoidhaltige Arzneimittel.

Frage Nr. 12:
Stimmt die Bundesregierung der Schlussfolgerung zu, dass vermögende Patienten hinsichtlich der medizinischen Nutzung von verschreibungsfähigen Cannabinoiden deutlich besser gestellt sind als weniger vermögende Patienten aufgrund der hohen Kosten, welche nicht von den Krankenkassen übernommen werden?

Antwort:
Die Bundesregierung stimmt dieser Schlussfolgerung ausdrücklich nicht zu. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen bieten einen gewissen Ermessensspielraum, eine Kostenübernahme von Rezepturarzneimitteln mit nicht zugelassenen Wirkstoffen durch die gesetzlichen Krankenkasse in besonderen Einzelfällen zu gewähren, insbesondere dann, wenn für die Behandlung einer lebensbedrohlichen bzw. schwerwiegenden Erkrankung keine andere Therapie zur Verfügung steht. Dies zu beurteilen, obliegt den Experten des medizinischen Dienstes in Auftrag der jeweiligen Krankenkasse.

(…)

Frage Nr. 17:
Wird sich die Genehmigungspraxis des BfArM in Bezug auf die Entscheidungen nach § 3 Abs. 2 BtMG verändern, falls eine Zulassung für ein cannabishaltiges Fertigarzneimittel erteilt und dessen Verschreibungsfähigkeit hergestellt wird?

Antwort:
Im Falle der Erteilung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung für ein cannabishaltiges Fertigarzneimittel in Deutschland, wäre dieses für Patientinnen und Patienten in der zugelassenen Indikation auf Betäubungsmittelrezept verschreibungsfähig. In diesem Rahmen könnten Anträge auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zur ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit Cannabisprodukten in bestimmten Umfang gegebenenfalls entbehrlich werden.

Sofern bestimmte Patientinnen und Patienten von einer eventuellen Zulassung nicht hinreichend profitieren sollten, weil sie entweder eine Erkrankung haben bzw. eine Symptomatik aufweisen, für deren Behandlung das Fertigarzneimittel nicht zugelassen wurde, oder weil es sich aufgrund patientenindividueller Bedingungen nicht in der erhofften Weise auswirkt bzw. aus anderen Gründen wie unerwünschte Nebenwirkungen oder Gegenanzeigen oder im Hinblick auf die Darreichungsform nicht angewendet werden kann, stünde weiterhin die Möglichkeit offen, beim BfArM eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zu beantragen.“

Soweit die Fragen und Antworten der Bundesregierung.

Ein kurzer Kommentar von Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der ACM: „Es ist davon auszugehen ist, dass die Bundesregierung an die an der Realität völlig vorbei gehende Antwort der Frage 12 selbst nicht glaubt, sondern dass diese Antwort ideologisch bedingt ist. Die Bundesregierung möchte sich nicht eingestehen, dass im Bereich der Therapie mit Cannabisprodukten in Deutschland eine Zweiklassenmedizin besteht, weil der Großteil der Patienten sich die Medikamente nicht leisten kann, während dies für vermögende Patienten kein Problem darstellt. Aus diesem Grund wurden vermutlich auch in der Antwort zur Frage 10 keine konkreten Preise genannt. Diese sind nicht so unbekannt, wie die Bundesregierung glauben machen möchte. Die Nennung dieser Preise hätte die Antwort der Frage 12 allerdings ganz offensichtlich ad absurdum geführt.“

(Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion Die Linke von 18. November 2010)

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