Cannabis und Cannabinoide als Medizin: Experten mahnen eine korrekte Anwendung der Fahrerlaubnisverordnung an

Am 24. Oktober fand in der Bundesanstalt für Straßenwesen ein Expertentreffen zu Grenzwerten von THC im Blut statt. Die Teilnehmer waren vor allem Rechtsmediziner und Toxikologen von deutschen Universitäten, einige auch aus Norwegen und den Niederlanden. Im Rahmen dieser Veranstaltung hatte Dr. Franjo Grotenhermen, Mitarbeiter des nova-Instituts und Geschäftsführer der IACM, die Möglichkeit erhalten, über den Umgang der deutschen Führerscheinbehörden mit der medizinischen Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden im Zusammenhang mit der Teilnahme der Patienten am Straßenverkehr zu referieren. Für die meisten Führerscheinbehörden und MPU-Stellen, bei denen eine medizinisch-psychologische Untersuchung zur Frage der Fahreignung durchgeführt werden kann, ist die Thematik neu.

Viele Mitarbeiter dieser Einrichtungen sind daher verunsichert. Einige Führerscheinstellen behandeln die Betroffenen korrekt entsprechend der Fahrerlaubnisverordnung, nach der nur eine missbräuchliche Verwendung von Medikamenten die Anforderung einer MPU rechtfertigt. Andere Führerscheinbehörden verlangen grundsätzlich eine MPU. Andere behandeln die Patienten wie regelmäßige Freizeitkonsumenten von Cannabis und formulieren die Fragen an die MPU-Stellen entsprechend fehlerhaft. Auch einige MPU-Stellen behandeln die Patienten wie Freizeitkonsumenten und sprechen von „regelmäßigem Cannabiskonsum“ anstatt von der „medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten“.

Dr. Grotenhermen berichtete in seiner PowerPoint-Präsentation zunächst über die verschiedenen Möglichkeiten der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten in Deutschland sowie dem möglichen zukünftigen Bedarf an diesen Medikamenten anhand von Zahlen aus dem Ausland (USA, Kanada, Israel), um dann die rechtlichen Grundlagen (Straßenverkehrsgesetz, Fahrerlaubnisverordnung) für den Umgang mit Medikamenten, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen können, vorzustellen. Am Ende des Vortrags stellte er vier reale Fälle über den Umgang von Führerscheinstellen mit Patienten aus seiner Praxis vor. Unten finden sich die Texte einiger Folien des Vortrags. Die anwesenden Experten vertraten ohne Ausnahme die Auffassung, dass die Fahrerlaubnisverordnung auch bei der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten anzuwenden ist und daher die Forderung nach einer Überprüfung der Fahreignung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung nur bei einem Verdacht auf eine missbräuchliche Verwendung dieser Medikamente (Dronabinol, Sativex, Nabilon, Cannabisblüten) gerechtfertigt bzw. geboten ist.

Die PowerPoint-Folien wurden erneut in der Sitzung der Grenzwertkommission am 6. November präsentiert. Anfang Dezember soll die Thematik erneut im Fachausschuss der Bundesanstalt für Straßenwesen erörtert werden.

Texte einiger Folien des Vortrags „Cannabis als Medikament: Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung von Medikamenten auf Cannabisbasis und der Teilnahme am Straßenverkehr“:

* Folie 7:
Fahrtüchtigkeit: Straßenverkehrsgesetz
Straßenverkehrsgesetz, § 24a
(1) (…)
(2) Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. Satz 1 gilt nicht , wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

* Folie 8:
Medikamente und Cannabisblüten
Zitat aus einem Schreiben des Leiters der Bundesopiumstelle Dr. Cremer-Schaeffer an den Vorsitzenden der ACM Dr. Franjo Grotenhermen vom 07.02.2011:
„Aus klinischer Sicht ist die ärztlich begleitete Selbsttherapie mit Cannabis, zumindest sobald eine gleich bleibende Dosierung erreicht ist, bezüglich der möglichen Auswirkungen auf die Fähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Therapie mit einem verschriebenen Arzneimittel vergleichbar. Cannabis wird in diesen Fällen als Arzneimittel angewendet, der Arzt hat eine Dosierungsempfehlung abgegeben und der Patient wendet Cannabis bestimmungsmäßig an. Lediglich eine Verschreibung liegt nicht vor.“

* Folie 9:
Fahreignung: Fahrerlaubnisverordnung I
§ 14 Abs. 1 S. 1 FeV verpflichtet die Fahrerlaubnisbehörde, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln i. S.  d. BtMG (Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FeV), eine Einnahme von Betäubungsmitteln i. S.  d. BtMG (Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FeV) oder ein Missbrauch von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln vorliegt (Abs. 1 S. 1 Nr. 3 FeV).
Voraussetzung für die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde zur Beibringung eines ärztliches Gutachten ist, dass hinreichend konkrete Verdachtsmomente vorliegen, die einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen (BVerfG NJW 2002, 2378).

* Folie 10:
Fahreignung: Fahrerlaubnisverordnung II
Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 der Fahrerlaubnisverordnung ist ein ärztliches Gutachten beizubringen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass „missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen“ besteht, nicht jedoch wenn Medikamente – dazu zählen auch medizinisch eingesetzte Cannabisprodukte bzw. Cannabinoide vom Arzt verschrieben wurden und bestimmungsgemäß eingenommen werden.

* Folie 11:
Beispiel 1
Ein Patient, der Cannabisblüten verwendet, führt eine Bescheinigung der Bundesopiumstelle (siehe oben) und ein Attest des behandelnden Arztes mit sich. Es bestehen keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung der psychomotorischen Leistungsfähigkeit. Es wurde THC im Blutserum deutlich über 1 ng/ml nachgewiesen.
Da kein Hinweis auf eine missbräuchliche Verwendung des Arzneimittels vorliegt, ergreift die zuständige Behörde keine weiteren Maßnahmen zur Überprüfung der Fahrereignung.

* Folie 12:
Beispiel 2
Das Straßenverkehrsamt fordert vom Patienten die Beibringung eines Gutachtens über eine MPU mit den folgenden Fragestellungen:
„Kann Herr XY trotz der Einnahme von Cannabis ein Kraftfahrzeug sicher führen?
Ist die Fahreignung in verkehrsmedizinischer oder -psychologischer Hinsicht beeinträchtigt?
Gibt es Hinweise auf missbräuchliche Cannabiseinnahme oder auf Konsum anderer Drogen?“

* Folie 13:
Beispiel 3
Das Straßenverkehrsamt fordert vom Patienten die Beibringung eines Gutachtens über eine MPU mit den folgenden Fragestellungen:
„Kann der Untersuchte trotz des Nachweises auf regelmäßigen, medizinisch verordneten Cannabiskonsum und den damit begründeten Zweifeln an der Kraftfahrereignung ausnahmsweise ein Kraftfahrzeug der beantragten Fahrerlaubnisklasse sicher führen?
Ist insbesondere zu erwarten, dass er ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis oder anderen Betäubungsmitteln führen wird?„
Nach einer schriftlichen Stellungnahme an den zuständigen Oberbürgermeister durch den behandelnden Arzt wurde die Fragestellung entsprechend der Fragen in Beispiel 2 abgeändert. Der Patient lehnt die Durchführung einer MPU grundsätzlich ab, da keine psychomototrische Beeinträchtigung bestand und keine missbräuchliche Verwendung des Medikaments vorliegt. Eine abschließende Entscheidung der Führerscheinstelle steht noch aus.

* Folie 14:
Beispiel 4
Die Führerscheinstelle fordert vom Patienten die Beibringung eines Gutachtens über eine medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) mit den folgenden Fragestellungen:
„Kann der Untersuchte trotz des Nachweises auf regelmäßigen, medizinisch verordneten Cannabiskonsum und den damit begründeten Zweifeln an der Kraftfahrereignung ausnahmsweise ein Kraftfahrzeug der beantragten Fahrerlaubnisklasse sicher führen?
Ist insbesondere zu erwarten, dass er ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis oder anderen Betäubungsmitteln führen wird?„
In diesem Fall geht es um die Wiedererlangung des Führerscheins bei einem Patienten, der Cannabis illegal verwendete, jedoch heute eine Erlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten besitzt. Eine schriftliche Stellungnahme an den zuständigen Landrat des behandelnden Arztes führte nicht zu einer Änderung der Fragestellung. Bereits durch die Fragestellung wird dem Patienten die Möglichkeit der Wiedererlangung des Führerscheins verwehrt.

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