Pressemitteilung der ACM vom 20. Dezember 2012: Oberverwaltungsgericht Münster: Patienten dürfen Cannabis zur Selbsttherapie anbauen

Schwerkranke Bundesbürger dürfen unter strengen Voraussetzungen Cannabis zuhause selbst anbauen. Dies stellte das Oberverwaltungsgericht Münster in einem Urteil vom 7. Dezember 2012 fest. Die Begründung wurde nun veröffentlicht. Patienten, für deren Erkrankungen keine anderen und zumutbaren Therapien zur Verfügung stehen, jedoch von Cannabisprodukten medizinisch profitieren, können einen Antrag an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn stellen, damit sie im Rahmen einer ärztlich begleiteten und überwachten Selbsttherapie Cannabispflanzen in ihrer Wohnung anbauen dürfen. Bislang wurden solche Anträge auf Anweisung des Bundesgesundheitsministeriums grundsätzlich abgelehnt. Diese Praxis ist aber rechtswidrig, erklärte das Gericht.

„Das Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer besseren Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten auf Cannabisbasis“, erklärte Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin. „Denn Cannabisprodukte aus der Apotheke sind für viele Patienten unbezahlbar. Durch einen legalisierten Eigenanbau eröffnet sich für sie erstmals eine erschwingliche Alternative.“ Die Krankenkassen verweigern bisher überwiegend die Erstattung der Kosten einer Behandlung mit Cannabismedikamenten. „Dass viele Patienten deshalb auf illegale Quellen oder einen illegalen Selbstanbau ihrer Medizin angewiesen sind, ist unerträglich“, so Grotenhermen.

Patienten, deren Krankenkassen die Kosten einer Therapie mit cannabinoidhaltigen Medikamenten übernehmen, haben allerdings keinen Anspruch auf eine Genehmigung zum Eigenanbau. Dies stellte das Gericht im konkreten Fall bei einem an Multipler Sklerose erkrankten Kläger fest und gab in diesem konkreten Einzelfall der beklagten Bundesrepublik Deutschland recht, die die Erlaubnis zum Eigenanbau hier verweigert hatte. Der Kläger habe bisher nicht überzeugend darlegen können, dass das von seiner Krankenkasse bezahlte Medikament Dronabinol bei ihm nicht die gleiche medizinische Wirkung, wie der von ihm selbst angebaute Cannabis habe.

Die Argumente der Bundesopiumstelle gegen eine grundsätzliche Erteilung einer Genehmigung für den Eigenanbau durch Patienten wurden vom Gericht jedoch vollständig zurückgewiesen. Das Urteil stellt klar: „Fehlt aber eine erschwingliche Behandlungsalternative, kommt die – im Ermessen des BfArM stehende – Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis in Betracht.“ Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte könne beim Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken von den Antragstellern keine Sicherungsmaßnahmen gegen eine Entwendung verlangen, wie sie von pharmazeutischen Unternehmen gefordert wird. Die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes wie auch die internationalen Suchtstoffübereinkommen müssten so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen möglich ist.

Der Anwalt des Klägers, Dr. Oliver Tolmein aus Hamburg, sieht nach dieser Entscheidung den Gesetzgeber gefordert: „Wenn das Bundesgesundheitsministerium nicht will, dass schwerkranke Patienten Cannabis zur Eigentherapie selbst anbauen dürfen, muss er im Krankenversicherungsrecht eindeutig klarstellen, dass die Krankenkassen bei entsprechend schwerkranken, sonst nicht behandelbaren Patienten die Kosten für cannabinoidhaltige Medikamente oder Medizinalhanf übernehmen müssen.“

Eine ärztlich überwachte Therapie mit Cannabis beziehungsweise einzelnen Cannabinoiden kann in Deutschland gegenwärtig auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen: Einerseits können mittels Betäubungsmittel-Rezept der Cannabiswirkstoff Dronabinol, der synthetische THC-Abkömmling Nabilon und der Cannabisextrakt Sativex verschrieben werden. Andererseits kann eine medizinische Verwendung von Cannabis in Form von Cannabiskraut aus der Apotheke, das aus den Niederlanden importiert wird, erfolgen. Dies bedarf allerdings einer Ausnahmegenehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Vor dem Verwaltungsgericht Köln sind derzeit weitere Klagen schwerkranker Patienten anhängig, denen das Bundesgesundheitsministerium die Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis verweigert.

“ Urteil vom 7. Dezember 2012, OVG NRW 13 A 414/11.“

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