Presseschau: SPD-Gesundheitspolitiker: Eine neue Cannabis-Politik ist nötig (Vorwärts)

Thomas Isenberg, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus setzt sich in der SPD-Zeitschrift Vorwärts für eine Änderung der Cannabispolitik ein, weil die bisherige Politik gescheitert ist und es Zeit wird, den Status quo zu überdenken.

SPD-Gesundheitspolitiker: Eine neue Cannabis-Politik ist nötig

„Lasst uns aufbrechen in eine neue Zeit!“ Mit einem flammenden Appell bezieht Thomas Isenberg Stellung in der aktuellen Debatte über eine mögliche Cannabis-Legalisierung. Isenberg hält das Verbot für gescheitert und fordert eine „regulierte Legalisierung“.

Um deutlich zu sein: Ich bin kein Fan von Kiffer-Romantik. Stattdessen geht es mir ganz klar um Gesundheits- und Präventionspolitik, auf dem Boden von Fakten, Zahlen und Tatsachen. Betrachten wir die Realität: Cannabis ist in allen Schichten der Gesellschaft weit verbreitet. Circa 40 Prozent aller 18- bis 25-Jährigen haben mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert. Zwar verfällt der überwiegende Großteil nicht in riskant regelmäßigen Konsum. 0,5 Prozent der erwachsenen deutschen Allgemeinbevölkerung erfüllen die Kriterien eines Cannabismissbrauchs, weitere 0,5 Prozent die einer Cannabisabhängigkeit. Im Vergleich zu den Alkohol- und Tabakexzessen und deren gesundheitlichen Folgen und Problemen zwar auch nicht schön, aber eben wesentlich geringer als bei anderen (legalen) Drogen!

„Cannabis-Verbot ist gescheitert“

Also was tun? Mehr Law und Order – damit eine Prohibition greift? Noch mehr Verbote, Polizei und strengere Durchführungsverordnungen, um den Beelzebub auszutreiben? Sorry Innenpolitiker: Das Verbot ist gescheitert – auch das gehört zur fachlichen Einsicht, die gesundheits- und präventionspolitische Fachkreise Land auf Land ab und international in überwältigender Mehrheit alle teilen. Wir brauchen etwas anderes für eine bessere Gesundheit der Bevölkerung! In Ländern, die einen neuen Weg der Entkriminalisierung und Neuregulierung gegangen sind, ist der Cannabiskonsum keineswegs gestiegen: Das juristisch/innenpolitische Dogma der sogenannten „Generalprävention“ des rechtlichen Verbots ist bei Cannabis ein Mythos, der sich bestenfalls für Gruselmärchen eignet, aber nun wirklich keine „erzieherische“ oder Vorbildwirkung hat. Schade eigentlich, wie einfach wäre es doch dann, oder? Jede/r im Bierzelt und am Stammtisch würde das verstehen?!

Vom Status-Quo profitieren derzeit eine ganze Reihe dubioser Schwarzhändler, die zudem den Stoff auf Kosten der Gesundheit der Cannabiskonsumierenden mit Blei oder Kleber strecken. Was hilft, zeigen andere Länder. „Machen wir den Dealer arbeitslos“ so ein Motto, das mir gefällt. Trocknen wir den unseriösen Schwarzmarkt aus – zu Gunsten der Gesundheit. Auch ein weiterer Kollateralschaden des jetzigen „Cannabisrechts“ wird so vermindert: Was für ein Irrsinn – pro Jahr gibt es in Deutschland über 150.000 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Cannabis, die fast alle im konsumnahen Bereich, also meist gegen Cannabis-Konsumentinnen und -Konsumenten geführt und in dreiviertel der Fälle eingestellt werden. Immenser Aufwand ohne Wirkung! Auch die Polizei wäre uns mehr als dankbar für Änderungen.

Problematischer Konsum trotz Jugendschutz

Lasst uns rationale Politik machen! Und auch aufräumen mit dem Mythos der „Einstiegsdroge“. Ja, ich verstehe, dass Eltern oftmals Angst um ihre Kinder haben. Aber gerade deswegen nochmal: Trotz bestehenden Verbots können viele Eltern von Cannabis-rauchenden Jugendlichen aus eigenem Erleben oder aber vom Hörensagen erzählen. Mist in der Tat: Denn gerade der Jugendschutz ist wichtig, auch gesundheitlich. Wie bei anderen Drogen, z.B. Alkohol, entwickeln schon heute viel zu viele Jugendliche einen problematischen Konsum. Statistisch liegt das Durchschnittsalter des ersten Cannabiskonsums bei 16,7 Jahren (Stand: 2011). Ich betone: Trotz Verbots!

Also hilft insgesamt wohl doch nur eine verschärfte „schwarze Sherriff-Politik“ á la Unionsparteien? Wohl kaum, wie auch die Erfolgsbeispiele anderer Länder zeigen. Und Fachstellen für Suchtprävention schreiben ganz klar: Die Kriminalisierung verhindert den Zugang von Jugendlichen zur Prävention, die Stigmatisierung führt zur Tabuisierung, auch in Schulen, in der Elternarbeit und anderswo. Sogar diejenigen, die „die schweren Fälle“ hinterher in der Therapie haben, sagen in ihren Forderungspapieren: Schaut nicht weg – macht die Regeln neu bei Cannabis!

Mitglieder sollen entscheiden können

Deshalb: Regulierte und kontrollierte Produktion, kontrollierte und lizenzierte Abgabe an Erwachsene bei Stärkung des Jugendschutzes, der Präventionsarbeit in den Kiezen und Settings wie z.B. in den Schulen, für Stärkung der Elternarbeit und bessere Aufklärung. Ja, ich bin froh, dass in immer mehr Kommunen, Bundesländern, aber auch von mehreren Bundestagsabgeordneten, auch der SPD, dieser Weg eingefordert wird. Macht mit! In Berlin wird die SPD nun im Herbst eine Landes-Mitgliederbefragung starten.

Letztlich müssen wir uns fragen: Augen schließen vor der Realität des jetzigen Cannabis-Rauschs, oder aber diesen – auch präventionspolitisch sinnvoll – neu kanalisieren? Ich bin mir sicher: Heute brauchen wir eine verantwortungsvolle Novelle des Bundesbetäubungsmittelgesetzes. Und zwar unabhängig von ebenfalls überfälligen Änderungen der Kostenerstattung und des Zugangs zu Cannabis als Medizin für Patientinnen und Patienten. Hier kann man derzeit de-facto von „Staatsversagen“ sprechen: Dies führt leider nicht selten zu unnötigem Leid, das gelindert werden könnte.

Auf dem Weg zur regulierten Legalisierung?

Lasst uns aufbrechen in eine neue Zeit! Ach ja: Immerhin 66 Prozent der Sympathisanten der SPD befürworten laut aktueller Forsa-Umfrage einen neuen Weg der regulierten Legalisierung. Sicherlich: (Noch) kein Thema für „die breite Mitte“, aber eins für die Glaubwürdigkeit! Die Fakten sprechen für sich.

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