Wann dürfen Ärzte Cannabis-Medikamente verschreiben?

In der Mailingliste für Ärzte der ACM wurde die Frage diskutiert, wie hoch die Hürden für die Verschreibung von Betäubungsmitteln der Anl. 3 Betäubungsmittelgesetz sind, speziell für Cannabis und cannabisbasierte Medikamente. Wir haben dazu Oberstaatsanwalt Jörn Patzak, Kommentator des Betäubungsmittelgesetzes befragt. Danach liegen die Hürden für eine strafrechtliche Verfolgung von Ärzten wegen des unlauteren Verschreibens von Betäubungmitteln hoch. Ein Verstoß gegen § 13 BtMG sei nur dann strafrechtlich relevant, wenn er vorsätzlich erfolgt. Die Begründung für die Verschreibung muss vom Arzt gut dokumentiert sein. Es versteht sich von selbst, dass Cannabis-Medikamente nicht das Mittel der ersten Wahl sein können und eine ernste Erkrankung vorliegen muss.

Diese Verschreibungsmöglichkeit von Medikamenten auf Cannabisbasis nach dem Betäubungsmittelgesetz muss von den Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen nach 31 Abs. 6 SGB V unterschieden werden. Das sind unterschiedliche Rechtsbereiche.

„Sehr geehrter Herr Grotenhermen,

zu Ihrer Frage kann ich Ihnen aus meiner Sicht allgemein Folgendes beisteuern:

Voraussetzung für die Verschreibung von Betäubungsmitteln der Anlage III (seit März 2017 nun auch Medizinalhanf) durch Ärzte ist, dass die Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist (§ 13 Abs. 1 S. 1 BtMG) und der beabsichtige Zweck nicht auf andere Weise erreicht werden kann (§ 13 Abs. 1 S. 2 BtMG: Ultima-Ratio-Regel).

Eine Indikation für eine begründete Verschreibung von Betäubungsmitteln nach § 13 Abs. 1 BtMG kann nur dann vorliegen, wenn das Mittel nach den allgemeinen oder weitaus überwiegend anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft als Heilmittel für das Leiden des Patienten geeignet ist. Sie dürfen nur zum Zweck der Heilung oder Schmerzlinderung verschrieben oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden (BGHSt. 29, 6 = NJW 1979, 2357; OLG Hamburg NStZ 2016, 530; Weber § 13 Rn 21), also nicht als Genussmittel oder Mittel zur Herbeiführung eines freiverantwortlichen Suizids (Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 13 Rn. Randnummer 17).

Eine Abweichung von der h. L. der medizinischen Wissenschaft, vom Indikationskatalog der Bundesärztekammer oder von den Richtlinien der Krankenkassen im Einzelfall bedeuten aber noch nicht, dass die Behandlung mit Betäubungsmitteln ärztlich unbegründet ist. Die h. L. der medizinischen Wissenschaft, der Indikationskatalog und die Stellungnahmen der Bundesärztekammer stellen nur Orientierungsrichtlinien dar, an denen sich der verantwortungsvolle Arzt im Rahmen seiner ärztlichen Therapiefreiheit orientieren kann. Sie binden ihn nicht bei der Wahl der Behandlungsmethode im Rahmen des § 13 BtMG, setzen ihn aber einem erhöhten Begründungszwang bei der Durchführung einer Außenseitermethode aus. So kann ein Arzt zur Besserung einer schweren Drogenabhängigkeit und ihrer Folgeerscheinungen eine Substitutionstherapie für erforderlich halten, weil im konkreten Einzelfall eine Abstinenztherapie aus äußeren Gründen vorerst nicht möglich ist, in Anbetracht des Gesamtzustandes des Abhängigen nicht aussichtsreich erscheint oder von dem Abhängigen abgelehnt wird (Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 13 Rn. Randnummer 17).

Hinsichtlich der Verschreibung von Substitutionsmitteln hat der BGH zur Therapiefreiheit Folgendes ausgeführt (BGH NJW 2014, 1680):

„Allerdings ist bei der Anwendung von § 29 I 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG ungeachtet der Konkretisierungen der Bedingungen von Suchttherapien vor allem durch § 5 BtMVV dem Arzt eine gewisse Therapiefreiheit zu belassen (vgl. BGHSt 37, 383 [385] = NJW 1991, 2359 = NStZ 1991, 439; s. auch bereits BGHSt 29, 6 [11 f.] = NJW 1979, 1943; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, § 29 Teil 15 Rn. 9). Der Verordnungsgeber hat diesen Aspekt im Rahmen von § 5 BtMVV berücksichtigt, indem in einzelnen Regelungen, etwa in § 5 II 2 und VIII 6 BtMVV, für die Bewertung von Voraussetzungen oder Ausschlussgründen der Substitutionstherapie auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft“ abgestellt wird. Zur Ausfüllung dessen kann auf die von der Bundesärztekammer zuletzt am 19.2.2010 verabschiedeten Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger bzw. deren Vorgängerrichtlinien abgestellt werden. Für die hier relevanten Verschreibungen von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie ergibt sich bei Anwendung des Take-Home-Verfahrens aus § 5 VIII 6 BtMVV, dass die Bewertung des Verlaufs der Behandlung dem behandelnden Arzt obliegt, der sich allerdings an dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft zu orientieren hat. Dies eröffnet dem Arzt im Rahmen der Therapiefreiheit in den Grenzen der Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung Bewertungsspielräume. Werden diese überschritten und die Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung im Take-Home-Verfahren aus § 13 BtMG iVm § 5 BtMVV nicht eingehalten, begründet dies die Strafbarkeit aus § 29 I 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG.“

Zusammenfassend ist zu sagen, dass ein Arzt keine strafrechtliche Ahndung wegen „unerlaubten“ Verschreibens von Cannabis befürchten muss, wenn die Verschreibung nach den zumindest weitaus überwiegend anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft erfolgt. Insoweit steht dem Arzt ein Beurteilungsspielraum zu, zumal es für Medizinalcannabis – soweit ich weiß – bislang keine Behandlungsleitlinien gibt! Das ist aber letztlich aber eine Frage des Einzelfalles. Insoweit ist noch zu beachten, dass der Straftatbestand der Verschreibung von Betäubungsmitteln entgegen § 13 Abs. 1 BtMG (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 6 a) nur vorsätzlich begangen werden kann. Eine fahrlässige „unerlaubte“ Verschreibung ist nicht strafbewehrt.“

Auch wenn es juristisch formuliert ist, hoffe ich, dass es Ihre Frage einigermaßen beantwortet. Ergänzend habe ich noch einen passenden Auszug aus meinem Kommentar beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen

Jörn Patzak

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