Angst statt Information: Ärzteblatt Sachsen zur medizinischen Verwendung von Cannabis

Der Vorsitzende des Ausschusses Berufsrecht der Sächsischen Ärztekammer reagierte am 29. August 2018 auf das Schreiben der SCM-Sprecher vom 3. August 2018. Im Schreiben der Ärztekammer heißt es: „Die Ärzteschaft unterliegt in ihrem Handeln und in der Entscheidung für oder gegen eine Verordnung von Präparaten grundsätzlich der Therapiefreiheit. Dies betrifft auch den Einsatz von Cannabis und Cannabisprodukten. (…) Es kann und darf nicht Aufgabe eine Ärztekammer sein, ihre Mitglieder in deren medizinischen Entscheidungen fachlich-inhaltlich zu beeinflussen.“

Dem kann nur zugestimmt werden.

Dem Schreiben ist die August-Ausgabe des Ärzteblatt Sachsen beigelegt, mit dem Hinweis, dass die aktuellen Entwicklungen zum Einsatz von Cannabis und Cannabisprodukten in der Medizin „eine große Rolle bei der Fortbildung unserer Mitglieder“ spielt. Das Themenheft zu “Sucht und Drogen“enthält darin eingebettet zwei Artikel zum Thema Cannabis als Medizin, die dem eigenen Anspruch, ihre Mitglieder fachlich-inhaltlich nicht beeinflussen zu wollen, leider nicht gerecht wird.

Wie ist es sonst zu verstehen, dass ein Beitrag über eine Veranstaltung zur Verordnung von Cannabisprodukten unter dem Titel „Cannabis: Potenzial und Risiken“ (ab Seite 363) wenig zum Potenzial und den Chancen einer Cannabistherapie enthält, sondern vor allem zu den Risiken, schlimmer noch, in Anlehnung an die Irrfahrt des griechischen Helden Odysseus den Untertitel „Ärzte zwischen Skylla und Charybdis“ erhielt.

Homer ließ seine Helden in der Odyssee während seiner Irrfahrt unter anderem durch eine Meerenge fahren, auf deren Seiten die Meeresungeheuer Skylla und Charybdis die Seefahrer bedrohten. Im Text des Ärzteblatt Sachsen erfahren wir dann, dass das Gesetz zur medizinischen Verwendung von Cannabis aus dem Jahr 2017 als „die eine Seite der Medaille, sozusagen Skylla“ bezeichnet wird. Skylla hatte nach dem bekannten Heldenepos sechs der Gefährten des Odysseus gefressen. Wenn die medizinische Verwendung von Cannabis bereits als derart bedrohlich erlebt wird, wie mag dann erst Charybdis aussehen?

Tatsächlich erfährt man im Artikel bedauerlicher wenig zum therapeutischen Potenzial, mit Ausnahme einer Aneinanderreihung von Hinweisen auf die schlechte Evidenzlage. So heißt es etwa zum Thema Spastik bei Multipler Sklerose: „Für Cannabisarzneimittel (Nabiximols, Dronabinol, Medizinalhanf, orales und oromukosales THC und THC/CBD) konnte die Wirksamkeit bei Multipler Sklerose und Paraplegie-assoziierter Spastizität mit objektivierbaren Prüfkriterien nicht belegt werden.“ Das war es zu dieser Indikation, so als hätte eine Zulassung von Sativex für die Behandlung der Spastik bei MS nie stattgefunden, und als gäbe es keine anderen sinnvollen und validen Maßstäbe für eine Zulassung von Medikamenten bei dieser Indikation.

Im Artikel zur medizinischen Verwendung von Cannabis („Cannabiseinsatz in der Schmerz- und Palliativmedizin – Mythen und Fakten“ , ab Seite 354) wird im ersten Absatz der Todesfall in einer klinischen Studie mit einem Hemmer des Endocannabinoid-Abbaus, der Testsubstanz BIA 10-2474, einem FAAH-Hemmer, am 9. Januar 2016 hingewiesen. In den IACM-Informationen vom Januar 2016 wurde in einem Kommentar bereits drauf hingewiesen, dass sich synthetische Modulatoren des Endocannabinoidsystems von Cannabinoiden oder Cannabis hinsichtlich ihrer möglichen Nebenwirkungen unterscheiden, weil ihre Wirkungsweise differiert.

Die Autoren des Artikels im Ärzteblatt Sachsen nutzen den Vorfall jedoch für eine Übergeneralisierung hinsichtlich der Gefahren von Substanzen, die auf das Endocannabinoidsystem wirken, um die Gefahren bei einer therapeutischen Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden generell zu dramatisieren. Danach gelten diese Risiken „durchaus auch für die klinische Anwendung der Naturprodukte und deren Derivate in der Schmerz- und Palliativmedizin.“

Dieser Schluss ist eben nicht zulässig. Auch in der medizinischen Wissenschaft sollten Äpfel nicht mit Birnen verglichen werden. Wissenschaft lebt von analytischer und differenzierter Betrachtung und nicht von unzulässigen Generalisierungen. Im Laufe des Artikels verstärkt sich der Eindruck, dass es hier weniger um eine nüchterne Darstellung von Mythen und Fakten geht, sondern um Emotionalisierung und Dramatisierung.

Andere Schlussfolgerungen bewegen sich auf dem Niveau von Spekulationen. So heißt es beispielsweise aufgrund der geringen Anzahl der bewilligten Anträge im Bereich der Onkologie, dass „bisher weniger als ein Prozent der Tumorpatienten in der letzten Lebensphase einen Bedarf für Cannabis-Produkte angemeldet haben.“ Alternative Erklärungen liegen auf der Hand, wie etwa, dass Patienten nicht über diese Möglichkeit informiert wurden, oder behandelnde Ärzte eine entsprechende Therapie abgelehnt haben.

Auch die Wortwahl irritiert. So heißt es: „Dagegen wird die Wirksamkeit bei chronischen (schmerzhaften) Erkrankungen diskutiert und propagiert.“ Wenn Ärzte eine Wirksamkeit bei chronischen Erkrankungen feststellen und den Einsatz von Cannabisprodukten empfehlen, ist das doch keine Propaganda! Auch bei anderen Substanzen (Opiate, Schlafmittel, Methylphenidat, Neuroleptika, etc.) gibt es in der Ärzteschaft unterschiedliche Auffassungen, wann und in welchem Umfang diese eingesetzt werden sollten. Es ist unüblich, die Empfehlung der einen Seite von der anderen Seite als Propaganda zu diskreditieren.

Am Ende des Artikels weisen die Autoren auf eine Selbstverständlichkeit hin, nämlich dass eine Therapie bei fehlender Wirksamkeit abgebrochen wird. „(…) und der Charakter des Therapieversuchs ist klar zu kommunizieren – auch mit der Konsequenz, diesen bei ausbleibenden klinischen Effekten und/oder Auftreten von Nebenwirkungen wieder zu beenden.“

Die Erwähnung dieser Selbstverständlichkeit lässt die Angst der Autoren erahnen, Ärzte könnten sich im Falle von Cannabis nicht daran halten, die Sorge vor übermäßiger, nicht indizierter Verschreibung von Cannabis, das Misstrauen gegenüber den Kollegen. Denn auch in Sachsen, so erfahren wir aus dem Artikel über die Veranstaltung, gibt es Ärzte, die gute Erfahrungen beim Einsatz cannabisbasierter Medikamente gemacht haben.

Dass der Vorsitzende der Kommission Sucht und Drogen der Sächsischen Landesärztekammer das Gesetz zu Cannabis als Medizin als „Cannabisverbreitungsgesetz“ bezeichnet und seinen Vortrag mit der Deliktentwicklung aus der Polizeilichen Kriminalstatistik des LKA Sachsen beginnt, passt in das Bild einer Vermischung von Freizeitkonsum und medizinischer Verwendung.

Auch die Verbindung der islamischen Rechtsprechung, der Scharia, mit der jahrhundertelangen Verwendung von Cannabis zu Heilzwecken ist unglücklich: „Ebenso kann eine Erinnerung an die Jahrhunderte alte Tradition der Scharia den Glauben an die Tragfähigkeit des „Altbewährten“ als Argument der Qualität in vorwissenschaftliche Zeiten zurückverweisen.“ Ich verstehe nicht, wie man die medizinische Verwendung von Cannabis bewusst mit der Scharia in Verbindung bringen kann, wenn man nicht Angst vor beidem verbreiten möchte.

Es gibt gute Traditionen und schlechte Traditionen. Das ist banal. Nicht alles Alte ist altbewährt. Da braucht man auch nicht auf islamische Traditionen zurückzugreifen. Da reichen die Hexenverbrennungen des christlichen Abendlandes oder die rechtsextremistische Tradition in Deutschland. Wer die Scharia mit der medizinischen Verwendung von Cannabis in einem Atemzug erwähnt, dokumentiert einen Mangel an Feingefühl, Differenziertheit und Geschichtsbewusstsein.

Die Angst, dass sich die medizinische Verwendung von Cannabis ausweiten könnte, ist berechtigt, denn Cannabis bietet ein großes medizinisches Potenzial, das immer mehr Patienten und Ärzte entdecken und erleben. Und das ist gut so. Die medizinische Verwendung von Cannabis muss wesentlich weiter ausgeweitet werden, um die gesundheitliche Versorgung der Betroffenen endlich zu verbessern. Das ist kein Grund zur Sorge, sondern Ansporn, weiter daran zu arbeiten.

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