Pharmaunternehmen dürfen in Deutschland die Zulassung cannabishaltiger Medikamente beantragen

Ab dem 18. Mai 2011 dürfen pharmazeutische Unternehmen Anträge auf eine Zulassung cannabishaltiger Medikamente stellen. Dies sieht die aktuelle Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vor. Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte liegt bisher ein solcher Antrag für ein Medikament vor, das bereits in Großbritannien, Spanien und Tschechien für die Verwendung bei der Spastik von Multiple-Sklerose-Kranken zugelassen ist. „Wir begrüßen diese Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, denn es ist zutreffend, dass viele Menschen auf solche Medikamente warten“, erklärte Dr. Franjo Grotenhermen von der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) in Rüthen. „Angesichts der restriktiven Politik der Bundesregierung in dieser Frage werden der allergrößte Teil der Patienten, beispielsweise Menschen mit chronischen Schmerzen und Krebs, allerdings noch Jahre auf solche Medikamente warten müssen. Das Bundesgesundheitsministerium verschließt sich bisher konsequent konstruktiven Lösungsvorschlägen für die große Mehrheit der von Cannabisprodukten profitierenden Patienten“, fügte er hinzu.

Die Medien berichteten über die Änderung, die die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), am 17. Mai im Rahmen der Vorstellung des Drogen- und Suchtberichts 2011 der Bundesregierung bekannt gab. Der Stern berichtete am 17. Mai 2011 auf seiner Webseite unter dem Titel „Zulassung Cannabis-haltiger Medikamente ab Mittwoch erlaubt“, die Westfalenpost am 21. Mai unter dem Titel „‚Enttäuschung bei Patienten ist groß“.

stern.de 17. Mai 2011:
„Cannabis-haltige Schmerzmittel dürfen ab Mittwoch in Deutschland zugelassen werden. Dies sieht eine rechtliche Neuregelung vor, die an diesem Tag in Kraft tritt, wie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), am Dienstag in Berlin sagte. ‚Es liegt bereits ein Antrag für ein Medikament vor, und wir hoffen, es werden noch mehr kommen‘, sagte Dyckmans anlässlich der Vorstellung des Drogen- und Suchtberichts 2011. Dyckmans nannte die Freigabe von Cannabis-haltigen Medikamenten einen ‚bedeutenden Schritt‘, weil Schwerkranke dadurch eine zusätzliche Therapieoption erhielten. Viele Menschen warteten auf diese Medizin.“

Westfalenpost vom 21. Mai 2011:
„Rüthen. Die Droge kommt als Heilmittel: Seit Mittwoch dürfen in Deutschland Cannabis-haltige Schmerzmittel zugelassen werden. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, nennt dies einen ‚bedeutenden Schritt‘, weil Schwerkranke dadurch eine zusätzliche Therapieoption erhielten.
Es sei ein ‚kleiner Schritt‘, meint einschränkend der Rüthener Mediziner und Wissenschaftler Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin. Wichtig sei, dass es normaler werde für Ärzte, Cannabis als Schmerzmittel zu verschreiben. Tatsächlich wird das fragliche Medikament namens ‚Sativex‘ mit einem Extrakt der Cannabispflanze aber nur einem kleinen Teil von Patienten helfen – jenen, die unter Spastiken bei Multipler Sklerose leiden. Ihnen kann der Arzt künftig dieses Medikament verschreiben, das von den Krankenkassen bezahlt wird. ‚Sativex‘ soll nach Informationen von Grotenhermen vom Sommer an in den Apotheken erhältlich sein.
Aber, sagt Grotenhermen: ‚Der große Teil der Schmerzpatienten fällt dagegen hinten runter.‘ Auch Patienten, die unter chronischen Schmerzen leiden, mit Tourette-Syndrom oder Krebspatienten im finalen Stadium könnte das Medikament helfen. ‚Die Bundesregierung sträubt sich vor einer Lösung, die mehr Patienten nützt‘, sagt Grotenhermen: ‚Sie sitzt das Thema aus.‘ Bei der Marktzulassung habe sich die Bundesregierung nur dem europäischen Druck gebeugt: In Großbritannien und Spanien ist ‚Sativex‘ schon auf dem Markt.
‚Es ist an der Zeit, Cannabis aus der Schmuddelecke zu holen‘, sagt auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, der Göppinger Schmerzmediziner Gerhard Müller-Schwefe. Todkranke und chronische Schmerzpatienten müssen bislang beim Bundesamt für Arzneimittelprüfung Ausnahmegenehmigungen stellen, um Cannabis-haltige Arzneien nutzen zu dürfen: In strikter Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes sind in Deutschland gerade einmal rund 50 erteilt worden – aus Kanada weiß Dr. Grotenhermen von 4000. ‚Die Enttäuschung und Wut bei den Patienten ist groß‘, sagt er: ‚Die meisten nehmen es illegal ein.‘ Es gibt bereits Cannabis-haltige Medikamente, vor allem mit dem Wirkstoff Dronabinol. Rund 1500 Patienten in Deutschland, so die Schätzung, nehmen es ein. In der Regel wird es von den Kassen nicht übernommen.
Seine Arbeitsgemeinschaft hat zwei Umfragen in Auftrag gegeben: Die Deutschen können demnach sehr genau unterscheiden zwischen der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten und ihrem Konsum zu Rauschzwecken. 76 Prozent der Bundesbürger seien demnach laut einer Emnid-Umfrage der Auffassung, dass die Verwendung von Cannabis für medizinische Zwecke erlaubt sein sollte. Übrigens sind SPD-Wähler mit 83 Prozent und der CDU/CSU mit 77 Prozent noch deutlicher dafür.“

Hintergrund:
Der Bundesrat hat in seiner 882. Sitzung am 15. April beschlossen, der von der Bundesregierung am 2. März 2011 beschlossenen 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (Drucksache 130/11) zuzustimmen. Danach gibt es neue Ausnahmeregelungen für das Verbot von Cannabis. „Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen)“ bleibt weiter in der Anlage I der nicht verkehrsfähigen und nicht verschreibungsfähigen Substanzen, mit den folgenden zwei neuen Ausnahmen.
In Anlage II wird die folgende Position in die aphabetische Reihenfolge eingefügt: Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) „sofern sie zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt sind“. Damit gehört dieser so definierte Cannabis zu den verkehrsfähigen, jedoch nicht verschreibungsfähigen Substanzen. Apotheken können auf diese Weise, ohne eine Ausnahmegenehmigung zu besitzen, Cannabis, das für medizinische Zwecke in den Niederlanden hergestellt wurde, kaufen und an Patienten mit einer entsprechenden Ausnahmegenehmigung zur Verwendung von Cannabis durch die Bundesopiumstelle abgeben.
In die Anlage III wird die folgende Position in die aphabetische Reihenfolge eingefügt: Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen „nur in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind“. Damit kann der Cannabisextrakt des britischen Unternehmens GW Pharmaceuticals, Sativex, auch in Deutschland zugelassen werden. Eine Zulassung für die Verwendung bei einer Spastik im Rahmen einer multiplen Sklerose wird noch für dieses Jahr erwartet.

Im Internet unter:
– https://www.stern.de/news2/aktuell/zulassung-cannabis-haltiger-medikamente-ab-mittwoch-erlaubt-1686105.html
– https://www.derwesten.de/staedte/ruethen/Enttaeuschung-bei-Patienten-ist-gross-id4671753.html

(Quellen: Bundesrat vom 15. April 2011, stern.de vom 17. Mai 2011, Westfalenpost vom 21. Mai 2011)

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