Presseschau: Krankenkasse lehnt Cannabis-Rezept für Wittener Patientin ab (WAZ)

Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung stellte einen Fallbericht zu einer Kostenablehnung durch eine Krankenkasse vor.

Krankenkasse lehnt Cannabis-Rezept für Wittener Patientin ab

Verena Krüsselsberg hat das Mittel vom Arzt gegen ihre Schmerzen verschrieben bekommen. Die Kosten werden dennoch nicht übernommen.

Mit Qualen kennt Verena Krüsselsberg sich aus: Seit frühester Kindheit leidet die heute 51-Jährige unter Dauer-Schmerzen im ganzen Körper – im Kopf, im Rücken, in den Beinen. Als jetzt Cannabis als Medikament gesetzlich zugelassen wurde, hoffte sie auf Linderung: Ihr Arzt verschrieb es ihr, das Mittel wirkte. Dennoch hat die Krankenkasse die Übernahme der Kosten verweigert. Für die Wittenerin ein „Schlag ins Gesicht“.

Viele, viele Jahre wusste Verena Krüsselsberg nicht, woran sie eigentlich litt. Sie ging von einem Arzt zum andern, versuchte Therapie um Therapie, Arznei nach Arznei – nichts half. Zu den Dauerschmerzen im ganzen Körper kamen massive Schlafstörungen, später dann Depressionen: „Meine Psyche wurde durch die Schmerzen und den fehlenden Schlaf einfach in Mitleidenschaft gezogen“, sagt die Wittenerin. Vor fünf Jahren endlich die Diagnose: Fibromyalgie, chronische Faser-Muskel-Schmerzen mit zahlreichen Symptomen.

„Da war ich plötzlich nicht mehr ich selbst“
Doch das Problem blieb: „Es gibt kein Mittel dagegen.“ Schmerzmittel helfen nicht, Anti-Depressiva will die Kranke nicht auf Dauer nehmen: „Da war ich plötzlich nicht mehr ich selbst.“

Ihren Beruf kann Verena Krüsselsberg seit Jahren nicht mehr ausüben: Sie leitete eine Werbeagentur, doch langes Sitzen am Schreibtisch geht nicht mehr, die kreative Arbeit als Schneiderin in einem Theater machen die Hände nicht mehr mit. „An manchen Tagen weiß ich kaum vom Sofa zu kommen.“ Der Medizinische Dienst stufte sie auf Pflegegrad 3 ein, ein Mitbewohner hilft ihr im Alltag.

Nebenwirkungen blieben völlig aus
Mit der Freigabe von Cannabis schien alles besser zu werden: Nach ersten Versuchen wusste die Wittenerin: Das Mittel hilft ihr. „Ich konnte endlich entspannen, schlafen, mich besser konzentrieren.“ Nebenwirkungen blieben aus. Dennoch lehnte die Techniker Krankenkasse die Übernahme der Kosten ab: „In einem Gutachten heißt es, ich hätte noch nicht alle Therapie-Möglichkeiten ausgeschöpft – aber das stimmt nicht.“ Psycho- und Physiotherapie, Klinikaufenthalt: Alles habe sie versucht. Jetzt werde ihr gar Ausdauersport empfohlen.

„Die Begründung ist eine Unverschämtheit“, sagt die Patientin mit Tränen in den Augen. Die Ablehnung belastet sie. Denn aus eigenen Mitteln kann sie sich das Medikament nicht leisten. Fünf Gramm kosten rund 110 EURo, geschätzt etwa 30 Gramm im Monat würde sie brauchen. „Ich nehme eine niedrige Dosierung, ich will ja keinen Rausch.“

Cannabis hilft bei Tumorschmerz
Von der Krankenkasse lag bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme vor. Der Wittener Ärztesprecher Dr. Frank Koch versteht allerdings die Ablehnung: „Cannabis ist für uns das Mittel der letzten Wahl, das nur bei bestimmten Krankheiten wie Tumorschmerz eingesetzt wird.“ Fibromyalgie gehöre nicht dazu. „Dafür gibt es einen bunten Strauß von Behandlungsmöglichkeiten, der ausgeschöpft werden kann.“
Verena Krüsselsberg will dennoch weiter für ihr Mittel der Wahl kämpfen: „Es hilft mir, es ist weniger schädlich als Chemie und es ist als normales Medikament zugelassen: Wo ist also das Problem?“

>>>GESETZ TRAT AM 10.MÄRZ IN KRAFT
Mit Inkrafttreten des Gesetzes am 10. März ist die medizinische Anwendung von Cannabis keine Ausnahmeregelung mehr. Cannabis ist seither verkehrsfähig und kann von jedem Arzt (außer Zahnärzten) verordnet werden.

Mehrere Interessensgruppen kämpfen gegen das Vorgehen der Krankenkassen und die schwierige Arztsuche. Viele hätten bereits Widerspruch eingelegt oder seien vor Gericht gezogen, so die Wittenerin.

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