ACM-Mitteilungen vom 30. August 2025
Liebe Leserin, lieber Leser,
meine Patienten haben Angst. Angst vor dieser Bundesregierung, genauer vor der CDU/CSU-Fraktion. Erst plant Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) ein Verbot der Versendung von Medizinalcannabisblüten, was vor allem Patientinnen und Patienten im ländlichen Raum beeinträchtigen würde, dann werden Ideen von Professor Dr. Hendrik Streeck (CDU), Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, bekannt, der ihnen die Möglichkeit einer wirksamen legalen Therapie mit Cannabisblüten nehmen will, s dass sie wieder zurück auf den Schwarzmarkt müssen oder von einem unsicheren Eigenanbau abhängig sind. Wer behauptet, eine Cannabistherapie könne in jedem Fall mit Cannabisextrakten so wirksam durchgeführt werden wie mit Cannabisblüten hat keine praktische Erfahrung mit der Thematik oder ist voreingenommen auf Extrakte fixiert, wie es leider auch nicht wenige Ärztinnen und Ärzte sind.
Hendrik Streeck betont, dass er auf der Grundlage wissenschaftlicher Daten handeln wolle. Nur wenn es um Cannabis geht, gelingt ihm das offenbar nicht. Muss es nicht die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten sein, die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung erfolgreich zu verbessern anstatt sie mit einer Rolle rückwärts wieder zu verschlechtern? Soll Deutschland bei der Behandlung mit cannabisbasierten Medikamenten wieder den Weg zurück antreten? Der neue Drogenbeauftragte ist dabei, innerhalb weniger Monate seine Glaubwürdigkeit und sein Ansehen bei Experten und Patienten zu verlieren.
Ein Hinweis für Auslandsreisende: In diesem Jahr haben einige wenige Cannabispatienten, die mit einem Schengen-Formular Cannabisblüten mit nach Frankreich oder Italien genommen haben, Probleme bekommen, mit Beschlagnahmung ihres Medikamentes sowie Bußgeldzahlungen. Vorsicht ist danach vor allem in Italien geboten. Man sollte dort als Cannabispatient insbesondere nicht am Straßenverkehr teilnehmen.
Heiter weiter!
Franjo Grotenhermen
Stellungnahme der Cannabis-Fachverbände
MEDIZINISCHE CANNABISBLÜTEN UND DIE THERAPIEFREIHEIT ERHALTEN
Berlin, 28.08.2025: Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Prof. Dr. Hendrik Streeck, hat sich in den Medien dafür ausgesprochen, das Cannabisgesetz (CanG) zu reformieren und in diesem Zuge die Verordnung von Cannabisblüten zu verbieten: Er begründet das unter anderem mit einem schwankenden THC-Gehalt, einer potenziellen Schädigung der Lunge, einem erhöhten Krebsrisiko sowie dem Hinweis, dass es oft weniger um die Linderung von Leiden, sondern eher um Freizeitkonsum gehe. Für Streeck stellen im Gegensatz zur Inhalation Kapseln und Tropfen die medizinisch sinnvolle Form dar, da diese „präzise dosierbar, evidenzbasiert, sicher“ seien.
Das Medizinalcannabis-Verbändebündnis, bestehend aus Fachverbänden von Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Patientinnen und Patienten sowie der pharmazeutischen Industrie, tritt diesem Vorschlag entschieden entgegen. Dazu stellt das Bündnis zunächst klar, dass das Medizinalcannabisgesetz 2017 primär mit dem Ziel verabschiedet wurde, die Verschreibungsfähigkeit von Medizinalcannabisblüten herzustellen. Um die Auswirkungen des Gesetzes evaluieren zu können, wurde nachfolgend eine 5-jährige Begleiterhebung durchgeführt. Aus dem Abschlussbericht der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Eine Geht eindeutig hervor, dass Medizinalcannabisblüten im Vergleich zu allen anderen Cannabisarzneimitteln nicht nur besser wirksam, sondern auch besser verträglich sind, zu weniger Therapieabbrüchen führen und insgesamt zu einer stärkeren Verbesserung der Lebensqualität führen.
Wissenschaftliche Arbeiten zeigen außerdem, dass der Einsatz von Cannabisblüten nicht nur ein effektives Schmerzmanagement ermöglicht, sondern auch Opioid-reduzierende Effekte erzielt: Der Opioidbedarf kann internationalen Publikationen zufolge um bis zu ca. 50 Prozent sinken. „Patient:innen müssen daher weiterhin zuverlässig Zugang zu sicheren, qualitätsgeprüften Cannabisblüten erhalten. Eine bedarfsorientierte Patientenversorgung darf unter keinen Umständen eingeschränkt werden“, betont Antonia Menzel, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC).
Cannabisblüten erlauben einen schnellen Wirkeintritt
Die inhalative cannabisbasierte Therapie hat gegenüber der oralen Behandlung den entscheidenden Vorteil, dass gerade durch den raschen Wirkeintritt eine sehr genaue Dosierbarkeit möglich ist. Die Wirkung setzt bereits nach Sekunden bis wenigen Minuten ein und hält zwei bis drei Stunden an. Dies ist hingegen bei einer oralen Behandlung wegen des deutlich verzögerten Wirkeintritts oft nicht möglich. Zudem liegt die Bioverfügbarkeit von Cannabisblüten mit 15 bis 35 Prozent deutlich höher als bei oralen Präparaten (drei bis zwölf Prozent). Aus diesen Gründen ist die inhalative Therapie besonders – aber nicht ausschließlich – zur Therapie von akuten Schmerzen oder Spastiken alternativlos. Leider stehen bis heute kaum alternative cannabisbasierte Medikamente zur Inhalation zur Verfügung, so dass die inhalative Blütentherapie gegenwärtig aus der Cannabisbehandlung nicht wegzudenken ist. Zahlen der GKV-Arzneimittel-Schnellinformation (GAMSI) belegen, dass cannabisbasierte Therapien zu Lasten der GKV in etwa der Hälfte der Fälle mit medizinischen Cannabisblüten erfolgen.
Patientenversorgung sicherstellen und ärztliche Therapiehoheit wahren
Im Fokus jeder Behandlung sollten die Patientensicherheit und eine qualitätsgesicherte Versorgung mit medizinischem Cannabis stehen. „Ein Verschreibungsverbot von medizinischen Cannabisblüten würde einer großen Zahl von Patient:innen die Möglichkeit nehmen, ihre seit Jahren etablierte, wirksame und ärztlich überwachte Therapie fortzusetzen. In der Folge würden viele Patient:innen – wie bereits vor 2017 – wieder in die Selbsttherapie mit Cannabis aus illegalen Quellen gedrängt werden“, bekräftigt Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM).
Die Auswahl der geeigneten Darreichungsform sollte basierend auf der Symptomatik, der Wirkweise und Wirkdauer getroffen werden können – und stets unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Patient:innen. „Die finale Entscheidung muss dem behandelnden Arzt obliegen – und dafür sollten alle Optionen zur Verfügung stehen, um die am besten geeignete Therapie auszuwählen“, so Michael Greif, Geschäftsführer des Branchenverbands Cannabiswirtschaft e.V. (BvCW).
Wichtig ist, dass eine inhalative Therapie mit Medizinalcannabisblüten nicht durch Rauchen von Joints erfolgen sollte, da dies die Lunge schädigen und das Krebsrisiko erhöhen kann. Diese Risiken können jedoch stark reduziert werden, indem die Inhalation mittels Vaporisator erfolgt. Als Medizinprodukt zugelassene und geprüfte Vaporisatoren erlauben eine schadstoffreduzierte, effiziente und validierte Applikation. Die THC-Dosierungen werden per Atemzug aufgenommen und die Einnahme kann jederzeit abgebrochen werden. Insgesamt erlaubt die inhalative Applikation eine leichtere, nebenwirkungsarme Dosisfindung.
Standardisierte Alternativen statt pauschaler Verbote
Die Bundesregierung sollte gezielte Anreize schaffen, um Investitionen in Forschung, Entwicklung und Zulassung standardisierter inhalativer und oraler Präparate aktiv zu fördern und Medizinalcannabis schrittweise in die Regelversorgung zu überführen. Bis solche Alternativen flächendeckend verfügbar sind, ist die Verordnungsfähigkeit von Medizinalcannabisblüten beizubehalten, um die Versorgung kranker Menschen, deren Indikationen einen schnellen Wirkeintritt verlangen, sicherzustellen.
„Solange neben wenigen – teils schwer dosierbaren – inhalierfähigen Extrakten keine zusätzlichen Alternativen zur Inhalation verfügbar sind, wäre die Streichung der Verschreibungsfähigkeit von Medizinalcannabisblüten ein erheblicher Rückschritt. Vielen Kranken würde damit eine seit Jahren bewährte Therapieoption genommen“, warnt Daniela Joachim, Vorstandsvorsitzende des Bund Deutscher Cannabis-Patienten e.V. (BDCan).
Klare Trennung von Medizinalcannabis und Konsumcannabis Die Cannabis-Fachverbände befürworten eine klare Trennung zwischen Medizinalcannabis und Konsumcannabis. „Ein Missbrauch von Arzneimitteln sollte verhindert werden, jedoch nicht zulasten von Patient:innen, die auf ihre Therapie angewiesen sind“, betont Dr. Christiane Neubaur, Geschäftsführerin des Verbands der Cannabis versorgenden Apotheken e.V. (VCA).
Das Bündnis regt zudem an, dass zusätzlich ein legaler Zugang für Konsument:innen über wissenschaftliche Pilotprojekte im Rahmen der Forschungsklausel (§ 2 Abs. 4 KCanG) geschaffen werden sollte. Dann kann man eine schärfere Trennlinie zwischen Konsument:innen und Patient:innen ziehen und gleichzeitig wissenschaftliche Evidenz für eine zukünftige Cannabis-Regulierung schaffen.
Literatur:
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2022): Abschlussbericht für die Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln https://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/pm05-2022.html
Nguyen T., et al. (2023), Changes in Prescribed Opioid Dosages Among Patients Receiving Medical Cannabis for Chronic Pain, New York State, 2017-2019, JAMA Netw Open. 2023;6(1):e2254573. doi:10.1001/jamanetworkopen.2022.54573
GKV-Arzneimittel-Schnellinformation für Deutschland (2024): Bruttoumsätze und Verordnungen von Cannabinoidhaltigen Fertigarzneimitteln und Zubereitungen von Januar bis Dezember 2024, https://www.gkv-gamsi.de/media/dokumente/quartalsberichte/2024/q4_31/Bundesbericht_GAmSi_202 412_konsolidiert_Sonderbeilage_Cannabis.pdf
Über die Verbände:
Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM)
Ansprechpartnerin: Prof. Dr. med. Kirsten Müller-Vahl
Telefon: 05115323122
Webseite: https://www.arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de/
E-Mail: info@arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de
Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) wurde 1997 in Köln gegründet. In ihr haben sich Ärzt:innen, Apotheker:innen, Patient:innen, Jurist:innen und andere Interessierte aus Deutschland und der Schweiz organisiert. Die ACM hat in den vergangenen 25 Jahren maßgeblich an den Verbesserungen bei der medizinischen Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden in Deutschland mitgewirkt. So wurde durch eine von der ACM initiierte Verfassungsbeschwerde und nachfolgende Musterprozesse vor den Verwaltungsgerichten der Weg für Ausnahmeerlaubnisse für die Verwendung von Cannabis aus der Apotheke im Jahr 2007 und schließlich für das Gesetz aus dem Jahr 2017 bereitet.
Bund Deutscher Cannabis-Patienten e.V. (BDCan)
Ansprechpartnerin: Daniela Joachim, Vorstandsvorsitzende
Webseite: https://bdcan.de/
E-Mail: daniela.joachim@bdcan.de
Der Bund Deutscher Cannabis-Patienten e.V. (BDCan) als gemeinnütziger Verein setzt sich durch direkten Austausch mit der Politik, Ärzt:innen, Apotheker:innen, Krankenkassen, MDK sowie der Industrie dafür ein, dass Patient:innen mit qualitativ hochwertigen Cannabisarzneimitteln in verschiedenen Darreichungsformen flächendeckend von den niedergelassenen Apotheken vor Ort und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen versorgt werden, wenn eine Therapie mit Cannabinoiden indiziert ist. Zudem bieten wir unseren Mitgliedern Unterstützung bei der Gründung von Selbsthilfegruppen und beraten in diesen sowie über unsere Hotline und per E-Mail zu allen Fragen rund um die Therapie mit Medizinalcannabis.
Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V. (BvCW)
Ansprechpartner & V.i.S.d.P.: Michael Greif, Geschäftsführer
Telefon: 0152 51895679
Fachlicher Ansprechpartner: Dr. Armin Prasch, Fachbereichskoordinator Medizinalcannabis
Webseite: https://cannabiswirtschaft.de/ E-Mail: mg@cannabiswirtschaft.de & ap@cannabiswirtschaft.de
Der BvCW ist die Stimme der Cannabiswirtschaft in Deutschland und vertritt alle Branchensegmente und Unternehmensgrößen gegenüber Politik und Verwaltung. Unsere Fachbereiche gliedern sich in „Genussmittelregulierung“, „Nutzhanf & Lebensmittel“, „Medizinalcannabis“, „CBD et al.“ sowie “Technik, Handel & Dienstleistung”. Wir bündeln industriepolitische, technologische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Expertise und setzen uns für bessere politischen Rahmenbedingungen ein.
Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC)
Ansprechpartnerin: Antonia Menzel, Vorstandsvorsitzende
Telefon: 0162 6661104
Webseite: https://bpc-deutschland.de
E-Mail: menzel@bpc-deutschland.de
Der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e. V. (BPC) ist die Stimme der pharmazeutischen Cannabinoidunternehmen in Deutschland. Der Verband bündelt die Expertise seiner Mitgliedsunternehmen, um Patient:innen in Deutschland die bestmögliche Versorgung mit qualitätsgesichertem medizinischen Cannabis zu ermöglichen. Hierfür setzt sich der Verband aktiv für Forschungsförderung, eine zukunftsfähige Weiterentwicklung von Cannabinoidtherapien, ideale Anbau- und Versorgungsstrukturen von Medizinalcannabis sowie Aufklärung und Weiterbildung ein.
Verband der Cannabis versorgenden Apotheken e.V. (VCA)
Ansprechpartnerin: Dr. Christiane Neubaur, Geschäftsführerin
Telefon: 0208 9912 99 21
Webseite: https://vca-deutschland.de/
E-Mail: info@vca-deutschland.de
Das erklärte Ziel des VCA ist es, in Deutschland eine effiziente und bezahlbare Versorgung von Patient:innen mit medizinischem Cannabis sicherzustellen. Diese Versorgungspflicht sieht der Verband ganz klar bei den pharmazeutischen Expert:innen in der Apotheke. Denn gemäß § 1 Apothekengesetz obliegt den Apotheken die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Hier ist der Kontaktpunkt für Patient:innen, vor, während und nach dem Erhalt einer ärztlichen Verordnung. Das pharmazeutische Fachpersonal kann optimal beraten und therapeutisch begleiten.
Presseschau: Streeck will Cannabisblüten verbieten und warnt vor Fentanyltrend (Deutsches Ärzteblatt)
Kommentar Grotenhermen: Was im Januar 2017 im Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung des Cannabis als Medizin-Gesetzes bei den Mitgliedern des Deutschen Bundestags noch Konsens war, geht offenbar zum Teil wieder verloren: Gesundheitspolitik aus der Sicht von Patientinnen und Patienten, auch bei der medizinischen Verwendung von Cannabis.
Die Teillegalisierung von Cannabis gehört nach Worten des Drogen- und Suchtbeauftragten der Bundesregierung, Hendrik Streeck (CDU), auf den Prüfstand.
Medizinalcannabis werde „zurzeit zu oft für den Freizeitkonsum missbraucht“, sagte der Politiker heute der Rheinischen Post. Hier habe Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bereits eine Gesetzesänderung vorgelegt, die er begrüße.
Derzeit würden Menschen von Onlineapotheken „gezielt durch Krankheitsformulare geleitet“, um Privatrezepte für medizinisches Cannabis zu bekommen, kritisierte Streeck. Zudem sei der Absatz von Cannabisblüten um 80 Prozent gestiegen: „ein deutlicher Hinweis, dass es hier weniger um die Linderung von Krankheitsleiden geht als um Konsum“.
Blüten würden meist geraucht, schädigten die Lunge und erhöhten das Krebsrisiko, erklärte der Virologe. Für die Behandlung von Schmerzen oder Epilepsien seien indes Kapseln und Tropfen medizinisch sinnvoller. „Deshalb bin ich dafür, dass Cannabisblüten nicht mehr verschrieben werden.“
Zudem warnte der Drogenbeauftragte vor einer zunehmenden Verbreitung sogenannter synthetischer Opioide in Deutschland, beispielsweise Fentanyl. „Besonders problematisch sind aus dieser Gruppe die sogenannten Nitazene. Sie haben eine rund 500-fache Potenz von Heroin.“ Die Menge einer Bleistiftspitze könne tödlich sein.
Die Verbreitung dieser Drogen nehme sowohl in Europa als auch weltweit zu, und „auch bei uns kommt davon immer mehr auf dem Schwarzmarkt an. Die Rezepturen werden mithilfe Künstlicher Intelligenz immer stärker, die Herstellung ist vergleichsweise einfach und stammt teils schon aus Heimlaboren“, warnte Streeck. „Diese Opioide bergen enorme Gefahren für die Menschen, die mit ihnen in Kontakt kommen.“ Dies gelte „schon beim ersten Konsum“.
Presseschau: Studie: Cannabis-Freigabe ist kein Konjunkturprogramm für Dealer (Ärztezeitung)
Kommentar Grotenhermen: Übertriebene Warnungen vor negativen Auswirkungen der Cannabislegalisierung gibt es viele, mit Warnungen vor eine Zunahme des Konsums unter Jugendlichen, von Psychosen, Verkehrsunfällen und anderen schwerwiegenden Folgen für Leib und Leben. Sachliche Informationen auf der Grundlage von Studien sind dagegen wohltuend.
Auf Rezept oder vom eigenen Balkon! Keineswegs stehen sich Cannabiskonsumenten vermehrt in dunklen Ecken auf den Füßen, um an Stoff zu kommen.
Nach dessen Teillegalisierung prognostizierten Kritiker des Cannabiskonsums Nachfrageimpulse vor allem zugunsten des Schwarzmarkts. Eher scheint jedoch das Gegenteil der Fall, wie aus einer aktuellen Online-Umfrage bei über 11.000 Bundesbürgern hervorgeht, die regelmäßig Marihuana nehmen. Die nicht repräsentative Erhebung des Instituts für Suchtforschung der Frankfurter Fachhochschule (Frankfurt University of Applied Sciences) und der Evangelischen Hochschule Freiburg zeige „deutliche Verschiebungen“ zugunsten legaler Bezugsquellen. Das Cannabisgesetz sei „bereits jetzt ein Erfolg im Hinblick auf die Schwächung des illegalen Marktes“, wird Studienleiter Bernd Werse in einer Universitätsmitteilung am Freitag zitiert.
Demnach bauen die Befragten „mehrheitlich selbst Cannabis an oder beziehen es per Rezept über Apotheken“. 88 Prozent hätten in den zurückliegenden sechs Monaten – die Befragung fand von Ende März bis Anfang Juni dieses Jahres statt – ihr Haschisch „hauptsächlich aus einer grundsätzlich legalen Quelle bezogen“. Vor Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (am 1. April 2024) hätten lediglich 24 Prozent „eine der jetzt legalisierten Möglichkeiten als Hauptquelle genutzt“. Darunter fallen auch Cannabis-Anbauvereine, von denen Medienberichten zufolge Stand Juli aber erst rund 300 eine behördliche Lizenz erhalten haben.
Befürchtungen, Kiffer könnten im öffentlichen Raum übermäßig ins Auge fallen, scheinen sich gleichfalls nicht zu bestätigen. „Die meisten Befragten konsumieren im privaten Rahmen; fast alle geben das eigene Grundstück als einen ihrer Konsumorte an“, berichtet die Freiburger Sozialpsychologin Professor Anke Stallwitz. Nur knapp die Hälfte nenne auch den öffentlichen Raum. Lediglich die wenigen Jugendlichen unter den Befragten (0,8 Prozent 14- bis 18-jährige) hätten „deutlich häufiger“ der Antwortoption zugestimmt, sich außer Haus zu berauschen.
Presseschau: Drogenpolitik: Warken steuert auf Konflikte wegen Cannabis zu (MDR)
Kommentar Grotenhermen: Der MDR kommentiert, Nina Warken steuere auf Konflikte mit der Industrie („einer noch jungen Branche“) und möglicherweise auch mit der SPD zu, so sei an schwer Stelle verdeutlicht, dass sie vor allem auf Konflikte mit Patienten und erfahrenen Ärzten zusteuert.
Nach der Sommerpause dürfte klarer werden, wie die neue Bundesregierung mit der Cannabis-Legalisierung der alten umgeht. Gesundheitsministerin Nina Warken von der CDU will als erstes nun vermuteten Missbrauch medizinischer Verschreibungen verhindern, steuert allerdings schon damit auf Konflikte mit einer noch jungen Branche zu und möglicherweise auch mit der SPD.
Nach dieser Sommerpause wird sich Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) neben ihren anderen Baustellen auch mit einem seit Mitte Juli vorliegenden Referentenentwurf aus ihrem Haus beschäftigen müssen, der die Abgabe von Cannabis als Medikament stärker begrenzen soll.
Anlass bot die Meldung, dass Importe von Medizinal-Cannabis nach Deutschland seit April 2024 deutlich zugenommen haben, vor allem aus Kanada und Portugal. Für Experten war das auch in diesem Ausmaß keine Überraschung. Nach Ansicht des Ministeriums aber geht es vor allem auf Privatrezepte für Selbstzahler über Online-Plattformen ohne medizinische Indikation zurück: Warken wittert hier Missbrauch für Freizeitkonsum.
Der Entwurf zur Änderung des MedCanG sieht nun vor, Patientinnen und Patienten statt Videokonferenzen einen mehr persönlichen Kontakt zu Arzt oder Ärztin vorzuschreiben und bei weiteren Cannabis-Verordnungen dann mindestens einen echten Praxisbesuch innerhalb eines Jahres.
Sorgen in der Cannabis-Branche
Man könne die Bedenken nachvollziehen, hieß es auf Nachfrage von MDR AKTUELL bei Cansativa, dem größten deutschen Lieferanten von Medizinal-Cannabis. Es müsse aber auch die “Versorgungsrealität vieler Patient:innen” beachtet werden, “die auf ihr Medikament angewiesen sind” und die geltende Rechtslage statt mit pauschalen Verboten im Detail “nachjustiert” werden.
Denn, so Cansativa weiter, auch “viele Selbstzahlende sind kranke Patient:innen” und sie sollten “nicht pauschal als Freizeitkonsument:innen stigmatisiert werden”. Nicht jede von den Krankenkassen nicht erstattete Verschreibung sei Freizeitkonsum. Viele Leute seien “aus dem Schwarzmarkt in den Medizinalmarkt gewechselt, da sie endlich entstigmatisiert zum Arzt gehen können” – eine Entwickung, die der Gesetzgeber gewollt habe.
Kritik an Versandverbot: Apotheken fehlen
Kritik wird in der Branche aber weniger an Arzt-Kontakten geäußert, als vielmehr am ebenfalls geplanten Cannabis-Versandverbot. Niklas Kouparanis, Chef und Gründer von Bloomwell, wirft Warken hier “Wortbruch” vor. Im Juni habe die Ministerin “noch versprochen, das Ergebnis der laufenden Evaluation abzuwarten”. Nun allerdings liege ein Entwurf vor, der “hunderttausende Cannabis-Patient:innen wieder in die Kriminalität drängen würde”.
Nach Angaben des Unternehmens, das zwischen den Ärzten und ihren Patienten vermittelt und bei Verschreibungen den Versand organisiert, wäre die Versorgung von etwa der Hälfte der Cannabis-Patienten gefährdet. In einigen Bundesländern gebe es sogar “keine einzige auf Medizinal-Cannabis spezialisierte Apotheke”, wie eine Auswertung eigener Daten zeige.
Auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt gibt es demnach keine einzige auf Cannabis spezialisierte Apotheke und in Sachsen gerade mal drei. Es müssten nach einem Versandverbot also die Leute “teilweise über 100 Kilometer” weit fahren, um ihr Rezept einlösen zu können, heißt es bei Bloomwell.
Auch zeige sich in der Auswertung ein extremes Nord-Süd-Gefälle mit einem im Vergleich zum Bundesdurchschnitt besonders hohen Anteil selbst zahlender Cannabis-Patientinnen in Bayern. Dort liege ihr Anteil 68,3 Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt, in Sachsen-Anhalt dagegen um 56,1 Prozent darunter, in Sachsen um 51 und in Thüringen um 43,9 Prozent.
Auch der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) lehnt in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf ein generelles Versandverbot für Apotheken ab. Dabei machte der VCA auch Vorschläge zur Erforschung einer kontrollierten Abgabe an Nicht-Patienten in Apotheken, ohne Versand.
Bloomwell hatte schon zuvor, auf seine Daten gestützt, gegen eine Beschränkung der Cannabis-Telemedizin argumentiert – etwa auch mit einer möglichen erneuten Stärkung des illegalen Cannabis-Markts.
Vereine decken die Nachfrage nicht
Denn unabhängig von der Frage nach dem Ausmaß möglichen Rezept-Missbrauchs ist klar, dass der Bedarf auch für den Freizeitkonsum durch legal erhältliches Cannabis bei weitem noch nicht gedeckt wird.
Inzwischen sind bundesweit zwar auch etwa 300 Cannabis Social Clubs genehmigt, mit mehr als 80 die meisten in Nordrhein-Westfalen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hatte Hamburg mit 13 Vereinen die meisten, Bayern indes die niedrigste Pro-Kopf-Rate mit nur acht. In Sachsen gab es jetzt 16 Vereine, in Sachsen-Anhalt mindestens sechs und in Thüringen mindestens fünf.
Solche Vereine dürfen seit Sommer 2024 die Droge anbauen und allein an ihre jeweils maximal 500 Mitglieder abgeben. Um jedoch den Schwarzmarkt auszutrocknen, was auch als Ziel der Ampel-Gesetzgebung formuliert war, bräuchte es auf diese Weise rein rechnerisch 5.000 bis 10.000 Vereine – geht man von geschätzt bis fünf Millionen potenziellen erwachsenen Konsumenten aus, die dann aber auch alle bereit sein müssten, Mitglieder zu werden.
Noch keine Erforschung anderer Modelle
Ein Ausweg könnte die legale Abgabe in kontrollierten Fachgeschäften sein. Erforschungen dieser Lösung hatte die Gesetzgebung der Ampel vorgesehen. Und ihr letzter amtierender Agrarminister, Cem Özdemir (Grüne), beauftragte noch im Dezember 2024 per “Konsumcannabis-Wissenschafts-Zuständigkeits-Verordnung” (KCanWissZustV) die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit Erlaubnis, Überwachung und Durchführung.
Dieser Behörde, die dem Bundesministerium für Landwirtschaft untersteht, liegen nun auch tatsächlich zahlreiche Anträge unter anderem von Kommunen und Forschungseinrichtungen vor. Bislang jedoch ist noch keiner davon genehmigt worden und dem Vernehmen nach auch keine Genehmigung in Sicht.
Die Berliner Sanity Group, die in der Schweiz an einem solchen Versuch beteiligt ist, möchte dies auch in Deutschland. Ein Rechtsgutachten in ihrem Auftrag bestätigte, dass “Konsumcannabis-Pilotprojekte genehmigungsfähig” seien – trotz einer “politisch ungewissen Haltung zur Umsetzung dieser sogenannten zweiten Säule”.
Ohnehin müsse die wissenschaftliche Evaluation einer kommerziellen Cannabis-Abgabe nach geltender Rechtslage regional und zeitlich begrenzt sein, schreiben die Juristen in ihrem Gutachten, mit “Ausnahmecharakter”. Und wissenschaftliche Fragen müssten “eindeutig erkennbar im Vordergrund” stehen, “nach besserem Jugendschutz, der stärkeren Zurückdrängung des Schwarzmarkts und der organisierten Kriminalität und einer Steigerung des Verbraucherschutzes durch risikoärmere Konsumformen”.
SPD-Kurs vorerst noch nicht ganz klar
Wie sich dazu und zum strittigen Cannabis-Versand die SPD verhält, unter deren Regie die teilweise Legalisierung und Entkriminalisierung von Cannabis in Deutschland zum 1. April 2024 umgesetzt worden war, ist noch offen.
Matthias Mieves, Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion im Gesundheitsauschuss, hatte noch vor dem Sommer bei Linkedin eine Debatte über den Referentenentwurf eröffnet und erklärt: “Wir stehen noch ganz am Anfang des Gesetzgebungsprozesses, und es wird noch eine Weile dauern, bis das Gesetz im Bundestag und im Ausschuss beraten wird.”
Für ihn sei dabei “eine verlässliche, wohnortnahe und barrierefreie Versorgung aller Patientinnen und Patienten” wichtig, schrieb Mieves dazu: “Klar ist aber auch, dass die Online-Verschreibung von suchterzeugenden Arzneimitteln für unbekannte Patienten ohne jeglichen Arztkontakt grundsätzlich ausgeschlossen sein sollte. Daher muss hier eine ausgewogene Regelung gefunden werden, die beiden Anliegen gerecht wird.”
SPD-Linke für volle Cannabis-Legalisierung
Ähnlich äußerte sich dazu auch Carmen Wegge, die Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Recht und Verbraucherschutz: “Den Gesetzentwurf in der aktuellen Fassung werden wir in keinem Fall mittragen”, schrieb sie.
Dabei versicherte Wegge, auch Sprecherin der SPD-Linken ihrer Fraktion: Auch wenn in der Koalition mit der Union jetzt jüngste “Errungenschaften in der Drogenpolitik” zu verteidigen seien, “verlieren wir das Ziel nicht aus den Augen” – also langfristig “eine europarechtskonforme Voll-Legalisierung von Cannabis und der Verkauf in lizensierten Fachgeschäften”.
Weitere Meldungen der vergangenen Tage
Ärztekammern gegen Onlineverschreibungen von Cannabis (Medical Tribune)