Die weniger bekannte Geschichte des Gesetzes

1995

Ein Gutachten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 2. November 1995 auf Anforderung der Bundesregierung, ist die Grundlage für die Beantwortung einer kleinen Anfrage der PDS, Vorläuferin der im Jahr 2005 gegründeten Partei Die Linke, im Deutschen Bundestag (Bundestagsdrucksache 13/3282). In dem Gutachten heißt es: „So entbehrt sowohl eine unkritische Euphorie hinsichtlich der therapeutischen Möglichkeiten von Cannabis bzw. THC der Grundlage wie andererseits eine auf entgegengesetzten Positionen resultierende generelle Ablehnung mit der Behauptung, es gebe „auf jedem Gebiet bessere therapeutische Alternativen.“

1996

Der Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel empfahl auf seiner Sitzung am 29. Januar 1996 der Bundesregierung eine Umstufung von Dronbinol/THC in die Anlage III BTMG, sodass es nun verschreibungsfähig würde.

1997

Gründung der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin am 12. April in Köln. In den Vorstand wurden gewählt: Dr. med. Franjo Grotenhermen (1. Vorsitzender), Dr. med. Thomas Poehlke (2. Vorsitzender), Joachim Biermanski (Verein Grüne Hilfe), Robert Schönberger und Volker Steimel (Redakteur der Zeitschrift Hanf!).

Fachtagung der ACM „Cannabis und Cannabinoide als Medizin“ am 22. November 1997 in Köln. Zu den Referenten zählten Dr. Manfred Fankhauser, Dr. med. Robert Gorter, Dr. med. Ulrike Hagenbach, Dr. med. Andreas Ernst, Prof. Dr. Rudolf Brenneisen, Dave Pate, Dr. med. Franjo Grotenhermen und Prof. Dr. Lorenz Böllinger.
in den Grußworten zur Tagung hieß es:
„Der erwiesenermaßen nützliche medizinisch-therapeutische Einsatz von Cannabis muss legal möglich werden, damit die derzeitige Kriminalisierung von Ärzten und Patienten endlich aufhört.“ (Dr. med. Ingo Flenker, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Vorsitzender des Ausschusses Sucht und Drogen der Bundesärztekammer)
„Das schmerztherapeutische Kolloquium als größte schmerztherapeutische Gesellschaft in EURopa unterstützt die Ziele der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, um hiermit das Spektrum der schmerztherapeutischen Verfahren zu erweitern.“ (Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident des schmerztherapeutischen Kolloquium e.V.)

1998

Im Februar 1998 wurde der Cannabiswirkstoff Dronabinol in Deutschland von der Anlage II in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes eingestuft, sodass das Cannabinoid verschreibungsfähig wurde. Da eine Behandlung mit Dronabinol von den Krankenkassen nicht erstattet wurde, hatten nur wenige Patienten Zugang zu einer solchen Therapie. In den folgenden Jahren konnten Patienten in einer juristischen Auseinandersetzung zunächst die Möglichkeit einer Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten und Cannabisextrakten aus der Apotheke – im Jahr 2007 – und schließlich den Eigenanbau von Cannabis für eigene medizinische Zwecke – im Jahr 2016 – vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig durchsetzen.

Der Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses hat am 29. September einstimmig die medizini¬sche Verwendung von Cannabis befürwortet. Dieser Beschluss gründet sich auf eine Petition der Berliner Selbsthilfegruppe Cannabis als Medizin und Bündnis 90/Die Grünen vom 25. März 1998, in der die Mög¬lichkeit einer arzneilichen Verwendung von Cannabis gefordert wird.

Bei der Tagung „Medical Marijuana“ in Frankfurt vom 2. bis 4. Dezember haben die AIDS-Hilfen und die Hessische Gesellschaft für Demokratie und Ökologie die Frankfurter Resolution zur me¬dizinischen Verwendung von Marihuana vorgestellt. Der Vorstand der ACM hat sich dieser Resolution an¬geschlossen und weitere medizinische Gesellschaften mit ins Boot geholt. Die Resolution besagt:
„In der Erkenntnis, daß zur Heilung Kranker und zur Minderung ihres Leids alle menschenwürdigen medizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen sind, fordern wir den Bundestag auf:
1. Die medizinische Nutzung von Marihuana zu erlauben,
2. zu therapeutischen Zwecken auch die rauchbare Anwendung natürlichen Marihuanas zu gestatten,
3. die medizinische Verwendung von Marihuana begleitend wissenschaftlich zu erforschen und diese Forschung zu fördern.“

Die ACM beginnt in Zusammenarbeit mit Professor Lorenz Böllinger ihre Planungen für eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Zunächst wurde eine Verfassungsbeschwerde von Ärzten, die ihre Patienten bzw. einen Patienten gern mit Cannabis behandeln möchten, dies aber nicht dürfen, geplant. Schließlich wurde 1999 eine Verfassungsbeschwerde von Patienten eingereicht.

1999

Der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Christa Nickels (Bündnis 90/die Grünen), wurden 11.000 Unterschriften von Personen übergeben, die die Frankfurter Resolution unterstützen. Im ACM-Rundbrief ist zu lesen: „Tatsächlich wurden wesentlich mehr Unterschriften geleistet. Viele – vielleicht etwa 5.000 – ent¬hielten jedoch eine unvollständige oder unlesbare Adresse, so dass wir diese Unterschrif¬ten nicht gezählt haben. Darin drückt sich sicherlich die Angst im Zusammenhang mit einer Cannabisverwendung aus.“

In einem Gespräch mit der Drogenbeauftragten Bundesregierung Christa Nickels, zeigt diese Sympathie für die ACM-An¬lie¬gen. Die Grünen befanden sich damals in einer Koalition mit der SPD. Letztere leh¬nen eine Legali¬sierung von Cannabis für medizinische Zwecke ab. Frau Nickels bemüht sich jedoch um Verbesserungen bei der me¬dizinischen An¬wendung.

Am 14. Dezember 1999 haben acht Mandanten von Lorenz Böllinger, Professor an der Universität Bremen, und Robert Wenzel, Assistent von Prof. Böllinger, vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbe¬schwerde gegen das Verbot der medizinischen Verwendung von Cannabis eingelegt. Die Mandanten leiden an verschiedenen Erkrankungen (Multiple Sklerose, HIV-Infektion, Hepatitis C, Migräne, Tourette-Syn¬drom, Epilepsie). Die Medien (Zeitung, Rundfunk und Fernsehen) haben das Thema sehr positiv behandelt. Die Finanzierung der Beschwerde hat die ACM übernommen.“

2000

ACM-Mitteilungen Spezial vom 08.02.2000: „Mit seinem Beschluss vom 20. Januar, der heute veröffentlicht wurde, hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG Karlsruhe durch die Präsidentin des BVerfG, Frau Limbach, und die Verfassungsrichter Hassemer und Broß die Verfassungsbeschwerde aus formalen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführer hätten zunächst einmal den Rechtsweg ausschöpfen müssen, erklärten die Richter in ihrer Begründung.“

Kommentar von Prof. Böllinger vom 08.02.2000: „Die Entscheidung zeigt trotz der Nichtannahme, dass das BVerfG die Option einer medizinischen Behandlung mit Cannabis ernst nimmt und bemüht ist, dafür einen gangbaren Weg aufzuzeigen. Sie bindet Verwaltung und Gerichte für zukünftige Verfahren. Patienten können nunmehr über ihre Behandler entsprechende Anträge beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte stellen, welches die Maßgaben des BVerfG berücksichtigen muss. Gegebenenfalls muss eine ablehnende Entscheidung dann vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Im äußersten Falle bleibt eine erneute Verfassungsbeschwerde.“

Kommentar von Dr. Grotenhermen vom 08.02.2000: „Es bleibt abzuwarten, ob das BfArM sich zukünftig weiterhin so strikt ablehnend verhält wie bisher. Mittelfristig ist es sicherlich kein sinnvoller Zustand, dass das Institut in einem langwierigen Verfahren über die Behandlungswürdigkeit eines Patienten mit Cannabis entscheidet. Dies sollte, wie bei anderen Medikamenten auch, die Entscheidung des behandelnden Arztes in Abstimmung mit seinem Patienten sein. Die Ausführungen des BVerfG können jedoch als weiterer Ansatzpunkt gesehen werden, der Bewegung in die unbefriedigende rechtliche Situation bringen kann und daher genutzt werden sollte. Sie können auch als Aufforderung an die Politik verstanden werden, rechtliche Grundlagen für eine medizinische Verwendung von Cannabisprodukten zu schaffen und das Betäubungsmittelgesetz entsprechend zu ändern.“

Am 16. März fand in Berlin auf Einladung der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion und Bündnis 90/Die Grünen ein Expertengespräch zu den strafrechtlichen, betäubungs- und arzneimittelrechtlichen Aspekten der medizinischen Verwendung von Cannabis und THC (Dronabinol) statt.

Am 28. Juni befürwortete der 29-köpfige Petitionsausschuss des Bundestages eine Petition der Selbsthilfegruppe Cannabis als Medizin in Berlin und der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin für die Möglichkeit einer medizinischen Verwendung natürlicher Cannabisprodukte und einzelner Cannabinoide. Am 6. Juli folgte der Deutsche Bundestag der Empfehlung des Petitionsausschusses und überwies die Petition „zur Berücksichtigung“ an die Bundesregierung. Mit den Stimmen der Ausschussmitglieder von PDS (Sozialisten), Grünen und SPD (Sozialdemokraten), gegen die Stimmen der CDU/CSU (Christdemokraten) und bei Enthaltung der FDP (Freiheitliche Demokraten) hatte der Petitionsausschuss sich für die Petition ausgesprochen, weil das vorgebrachte Anliegen begründet sei. Der Ausschuss kam zu dem Ergebnis, dass Cannabis vielen Erkrankten hilft, „ihre Erkrankungen zu heilen bzw. zu lindern und ihr Leben wieder lebenswert zu gestalten“

Die Frankfurter Firma THC Pharm hat die Erlaubnis erhalten, Apotheken in Deutschland mit Dronabinol (THC) zu beliefern, damit diese daraus entsprechende arzneiliche Zubereitungen (Kapseln, Tinkturen) selbst herstellen können. THC wird von der Firma halbsynthetisch hergestellt. Dazu wird natürliches Cannabidiol aus Faserhanf extrahiert, das dann in einem zweiten Schritt in THC (Dronabinol) umgewandelt wird.

2001

Die damalige Parlamentarische Staatssekretärin bei der deutschen Bundesministerin für Gesundheit, Christa Ni¬ckels, hat im Namen der Bundesregierung am 28. September 2000 dem Petitionsausschuss auf die vom Ausschuss unterstützte Petition der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin und der Berliner Selbsthil¬fegruppe geantwortet. Darin heißt es:
„Aus der Sicht des Bundesministeriums für Gesundheit wird der Einsatz von Arzneimitteln auf der Basis von Cannabis befürwortet. Ordnungsgemäß ist dies nur möglich, wenn dabei die arzneimittel¬rechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. (…)“
„Zusammenfassen kann festgestellt werden, dass bereits jetzt Arzneimittel mit den Cannabiswirkstof¬fen Dronabinol und Nabilon auf ärztliche Verschreibung zur Verfügung gestellt werden können. Die Bereitstellung von Arzneimitteln mit standardisiertem Cannabisextrakt wird vorbereitet. Somit be¬steht für die arzneiliche Anwendung von ungeprüften Cannabisprodukten auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 BtMG kein Bedarf mehr, auch wenn es im Einzelfall nachvollziehbar ist, dass schwerkranke Patienten diesen Wunsch äußern. Es ist jedenfalls nicht gewünscht, dass diese Menschen strafrecht¬lich verfolgt werden.“

2002

Die Delta 9 Pharma GmbH, ein Unternehmen der Bionorica AG (Neumarkt), beliefert seit Juni 2002 Apotheken mit Dronabinol, die daraus nach entsprechenden Rezepturen des deutschen Apotheker¬verban¬des Medikamente (Kapseln, Tropflösungen) herstellen können. Delta 9 Pharma ist nach THC Pharm (Frankfurt) die zweite deutsche pharmazeutische Firma, die Dronabinol herstellt und an Apothe¬ken ab¬gibt. Die Bionorica AG ist ein führender Hersteller pflanzlicher Arzneimittel. Beide Firmen stellen THC (Dronabinol) durch Isomerisierung aus Cannabidiol (CBD) von Faserhanf her.

Die Vorstandsvorsitzenden der ACM und der IACM haben am 24 Juni alle Bundestagsabgeordneten angeschrieben und sie gebeten, sich für einen neuen Paragraphen im Betäubungsmittelgesetz, einen § 31b, einzusetzen, der es Rich¬tern und Staatsanwälten ermöglichen würde, bei medizinischer Verwendung sonst illegaler Cannabispro¬dukte unter bestimmten Bedingungen von der Strafverfolgung abzusehen.
Reaktionen auf den Vorschlag eines § 31b (aus dem ACM-Rundbrief): Wie im letzten Rundbrief berichtet, haben die Vorstandsvorsitzenden der ACM und der IACM alle Bun-destagsabgeordneten angeschrieben und sie gebeten, sich für einen neuen Paragraphen im Betäubungs¬mittelgesetz, einen § 31b, einzusetzen, der es Rich¬tern und Staatsanwälten ermöglichen würde, bei medi¬zinischer Verwendung sonst illegaler Cannabispro¬dukte unter bestimmten Bedingungen von der Strafver¬folgung abzusehen. Zudem haben wir diesen Vorschlag auch den Justizministern der Länder unterbreitet. Folgende Personen bzw. Institutionen haben darauf schriftlich reagiert: Bundesgesundheitsministerium, Christa Nickels (Grüne), Barbara Höll (PDS), Ulla Jelpke (PDS), Heidemarie Lüth (PDS, Vorsitzende des Petitionsausschusses), Pia Maier (PDS), Herr Pfeiffer (Justizminister von Niedersachsen), Herr Sellering (Justizmi¬nister Mecklenburg-Vorpommern), Hubert Hüppe (CDU/CSU, drogenpolitischer Sprecher der Fraktion), Ursula Heinen (CDU/CSU), Regina Schmidt-Zadel (SPD), Birgit Naase (FDP, Referentin für Gesund¬heitspolitik).
Das Bundesgesundheitsministerium sowie Mitglieder des Bundestages von SPD und CDU/CSU haben in ihren Schreiben die Ablehnung unseres Vorschlages zum Ausdruck gebracht. Es wurde darin betont, dass als Arzneimittel nur Stoffe definierter Qualität Verwendung finden sollten, und daher keine gesetzlichen Ausnahmegenehmigungen für die Verwendung sonst illegaler Cannabisprodukte geschaffen werden soll¬ten. Für das Bundesgesundheitsministerium komme das „nicht in Betracht“.
Die beiden Justizminister der Länder haben unseren Vorschlag dagegen wohlwollend aufgenommen. Prof. Pfeiffer auf Niedersachsen fand ihn sogar zu wenig weitgehend. Die Vorstellungen der Vertreter der Bundestagsfraktion von Grünen und der PDS gehen bekanntermaßen ebenfalls über einen § 31 b hinaus, so dass wir von dort Unterstützung bekamen. Die Vertreterin der FDP schrieb, dass ein „standardisierter Cannabisextrakt die optimale Lösung wäre. Sollte sich jedoch herausstellen, dass dies aus welchen Grün¬den auch immer, nicht der Fall ist, muss man über andere Wege nachdenken. Ihren Vorschlag, einen § 31 b in das Betäubungsmittelgesetz einzufügen, … werden wir deshalb eingehend und wohlwollend prüfen.“

Prozesse wegen medizinischer Verwendung (aus dem ACM-Rundbrief): „Im letzten Rundbrief haben wir angekündigt, einen Überblick über juristische Verfahren zur Durchset¬zung einer medizinischen Cannabisverwendung zu geben. Dazu möchten wir auch auf die beiliegende Bewerbung um den Multiple-Sklerose-Preis der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung verweisen.
Grundsätzlich unterstützt die ACM mit den Spenden auf das Rechtshilfekonto mehrere Strategien.

Dazu zählen:

Strafverfahren wegen illegalen Cannabisbesitzes. Hier soll versucht werden, Freisprüche zu erzielen. Am 15. Mai 2003 wurde erstmals ein Patient, der illegales Cannabis angebaut und verwendet hat, von einem deutschen Gericht freigesprochen. (Siehe den Weg bis zu diesem Freispruch unter Punkt 5 der Bewerbung um den Multiple-Sklerose-Preis.) Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, da der Staatsanwalt Berufung vor dem Landgericht Mannheim eingelegt hat. Die ACM wird weiterhin das Verfahren von Michael F. unterstützen und finanzieren.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20. Januar 2000 in Reaktion auf die Verfas¬sungsbeschwerde von acht Patienten darauf hingewiesen, dass sie zunächst andere Wege be¬schreiten müssten, bevor sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Thema der medizinischen Ver¬wendung von Cannabis befassen würde. Dazu zählten Anträge beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf eine Ausnahmegenehmigung für die medizinische Verwendung von Cannabis und Anträge auf vorbeugenden Rechtsschutz bei den Oberlandesgerichten. Wie wir be¬reits früher berichtet haben, wurden mehr als 100 Anträge beim BfArM gestellt, die alle abgelehnt wurden. Einige Antragsteller haben Widerspruch gegen diese Ablehnung vor den Verwaltungsge¬richten eingelegt. Diese Verfahren laufen zur Zeit. Im Falle von Michael F. wurde auch ein Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz gestellt.

Verfahren vor den Sozialgerichten gegen die Weigerung einzelner Krankenkassen, die Kosten einer Behandlung mit Dronabinol zu erstatten. Bisher gingen einige Verfahren in der ersten Instanz verlo¬ren, jedoch wurde zum Teil Berufung eingelegt. Wir gehen davon aus, dass der Ausgang dieser Ver¬fahren auch für die spätere Verschreibung eines Cannabisextraktes als Rezepturarznei¬mittel von Be¬deutung ist. Die Chancen, diese Verfahren zu gewinnen, werden sich vermutlich durch die Ergebnisse neuer klinischer Studien immer weiter verbessern.“

2003

Am 27. November 2003 erhielt Michael Große aus Berlin, der an einer entzündlichen Darmerkrankung leidet, dem so genannten Morbus Crohn, die richterliche Erlaubnis zum Anbau und zur Verwendung von Can¬nabis. Richter Michael Zimmermann vom Amtsgericht Tiergarten in Berlin urteilte, dass sich der An¬geklagte in einer Notstandslage befunden habe und die medizinische Verwendung von Cannabis daher gerechtfertigt sei. Das Aktenzeichen des Urteils: lautet: (283/268) 4 Op Js 1431/00 Ls (168/00). Der Staatsanwalt verzichtete darauf, in Revision zu gehen. Damit darf erstmals seit vie¬len Jahrzehnten ein Patient in Deutschland Cannabis zu medizinischen Zwecken anbauen und konsumieren.

Am 15. Mai 2003 war erstmals ein Patient (Michael Fischer), der an multipler Sklerose leidet, in Deutschland von einem Mannheimer Amtsgericht freigesprochen worden. Allerdings ist der Staatsanwalt in Revision gegangen, so dass dieses Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Das Berliner Urteil wird es jedoch dem Beru¬fungsgericht erleichtern, das Urteil des Amtsgerichts zu bestätigen. Später wurde auch Michael Fischer freigesprochen.

2004

Das Oberlandesgericht Karlsruhe urteilt, dass die Einnahme von Cannabis zur medikamentösen Behandlung aus Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt sein kann. In einer Pressemitteilung schreibt das Oberlandesgericht: „Dies hat heute der 3.Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschieden, jedoch an das Vorliegen einer Straf¬freiheit strenge Anforderungen geknüpft. Der 44-jährige Angeklagte leidet als Folge einer Mitte der 80-er Jahre bei ihm aufgetretenen Multiplen-Sklerose-Erkrankung an einer Ataxie, welche zu einer Störung seiner Grob- und Feinmotorik, seines freien Gangs, des Stan¬des sowie des Sprachvermögens führt. Diese Ataxie ist nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht behandel¬bar. Zur Linderung seiner Beeinträchtigungen nimmt der Angeklagte seit 1987 Haschisch und Marihuana vornehm¬lich in Form von „Joints“ zu sich, wobei er u.a. Hanfstauden in einer Zwischendecke in seinem Wohnzimmer selbst aufgezogen hat. Wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – insgesamt wurden bei einer Wohnungsdurchsu¬chung im Februar 2002 bei ihm 381,99 Gramm Marihuana sichergestellt – erhob die Staatsanwaltschaft Mann¬heim deshalb im Juli 2002 Anklage zum Amtsgericht Mannheim, welches den Angeklagten im Mai 2003 vom Vorwurf eines strafrechtlichen relevanten Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz freisprach. Nach Ansicht des Amtsgerichts hat sich der Angeklagte nicht strafbar gemacht. Zwar sei der Besitz von Betäubungsmitteln nach dem BtmG verboten, der Angeklagte könne sich jedoch auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes (§ 34 StGB) berufen, weil die bei ihm vorliegende Ataxie nicht anders behandelbar sei und sein Interesse, ein annähernd erträgliches Dasein zu führen, die Belange des Staates am Verbot von Betäubungsmitteln überwiege.

Selbstanzeige (aus dem ACM-Rundbrief): „Wie im letzten Rundbrief berichtet, hat sich Frau Ute Köhler aus Thüringen wegen Cannabisbesitzes selbst ange¬zeigt. Siehe dazu den Bericht aus der Süddeutschen Zeitung vom 24. August 2004. Am 17. August hat Frau Köhler in Begleitung ihres Anwalts und einiger Journalisten beim Oberlandesgericht in Jena einen Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz gestellt. Mit diesem Antrag sollten die Richter die Staatsanwaltschaft daran hindern, gegen Frau Köh¬ler wegen Besitzes illegaler Betäubungsmittel zu ermitteln. Zudem ist sie mit einer Hanfpflanze zur Polizei gegan¬gen, um sich selbst anzuzeigen. Das Oberlandesgericht hat überraschend schnell entschieden und den Antrag abge¬lehnt. Der zuständige Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Meiningen, der nun gegen Frau Köhler hätte ermitteln müssen, hat sich allerdings als nicht zuständig erklärt. Staatsanwalt und Polizei sind ebenfalls nicht aktiv geworden, so dass Frau Köhler immer noch unbehelligt ihre Cannabispflanzen zu Hause stehen hat. Es hat den Anschein, dass die Justiz nicht aktiv werden möchte, weil niemand der Buh-Mann sein möchte, der einer Schmerzpatientin die Hanfpflanzen wegnimmt.“

Hanfapotheke startet im August (aus dem ACM-Rundbrief): „Die Hanfapotheke soll Schwerkranken helfen, Cannabis zu medizinischen Zwecken zu erhalten, denn die Betroffenen können nicht warten, bis die Politik akzeptable Lösungen findet, und auch die Ratschläge des Bundesverfassungsgerichts sind nicht realitätstauglich. Den Cannabis erhalten sie von anonymen Spendern, die den Betroffenen konkret helfen möchten. Die Hanfapotheke (www.hanfapotheke.org) startet im August 2005. Ein konkreter Termin wird in den nächsten Tagen auf der Webseite angekündigt.“ Die Hanfapotheke hat bis 2007 gearbeitet, als erstmals eine Patientin eine Ausnahmeerlaubnis für die Verwendung von Cannabis durch die Bundesopiumstelle erhielt.

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