Von Dr. Manuel Guzmán: Cannabinoide, die aktiven Bestandteile von Cannabis, und ihre Abkömmlinge weisen bei Krebspatienten lindernde Eigenschaften auf, indem sie Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen verhindern und den Appetit steigern. Zudem hemmen diese Substanzen bei Labortieren – Mäusen und Ratten – das Wachstum von Tumorzellen. Allerdings gibt es zur Zeit keine zuverlässigen Beweise, nach denen Cannabinoide – natürliche oder synthetische – wirksam Krebs bei Patienten heilen können, auch wenn in diesem Bereich geforscht wird.
Verständliche Übersichten – inklusive der Angabe von wissenschaftlichen Literaturstellen – zu Cannabinoiden und Krebs finden sich auf der Internetseite von Cancer Research UK und auf der Internetseite des Nationalen Krebsinstituts der USAntwort: Im folgenden werden diese Informationen zusammengefasst und diskutiert.
Was ist Krebs?
Krebs ist ein in einem umfassenden Sinn verwendeter Begriff für Krankheiten, in denen sich Zellen ohne Kontrolle teilen und im Allgemeinen in andere Gewebe eindringen können. Krebs ist nicht nur eine Erkrankung, sondern viele Erkrankungen: Mehr als 100 verschiedene Krebsarten werden von der Weltgesundheitsorganisation hinsichtlich ihrer feingeweblichen Charakteristika beschrieben und wahrscheinlich gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende Krebsarten, wenn man sie hinsichtlich ihrer molekularen und genetischen Profile betrachtet.
Was sind die häufigsten Krebsarten?
Die meisten Krebsarten werden nach dem Organ oder den Zelltypen, in denen sie beginnen, benannt. Darüber hinaus werden Krebsarten im Allgemeinen in die folgenden größeren Kategorien gruppiert:
-
Karzinom: Krebs, der in der Haut oder in Geweben, die innere Organe auskleiden oder bedecken, beginnt.
-
Sarkom: Krebs, der in Knochen, Knorpel, Fett, Muskulatur, Blutgefäßen oder anderen Binde- oder Stützgeweben beginnt.
-
Leukämie: Krebs, der in Blut bildenden Geweben wie dem Knochenmark beginnt und zur Produktion einer großen Zahl veränderter Blutzellen führt, die sich dann im Blut finden.
-
Lymphom und Myelom: Krebs, der in Zellen des Immunsystems beginnt.
-
Krebsarten des zentralen Nervensystems: Krebs, der in Geweben des Gehirns und des Rückenmarks beginnt.
Hemmen Cannabinoide das Krebswachstum?
Nahezu die gesamte Forschung zu Cannabinoiden und Krebszellen wurde bisher mit Krebszellen, die im Labor gezüchtet wurden, und an Tiermodellen durchgeführt. Viele wissenschaftliche Studien haben davon berichtet, dass verschiedene Cannabinoide (sowohl natürliche als auch synthetische) ein breites Spektrum an wachstumshemmenden Wirkungen auf Krebszellen ausüben. Dazu zählen:
-
Die Auslösung des Zelltodes durch einen Mechanismus, der als Apoptose bezeichnet wird.
-
Die Unterbrechung der Zellteilung.
-
Die Verhinderung der Bildung neuer Blutgefäße in Tumoren – der Vorgang der Bildung neuer Blutgefäße heißt Angiogenese.
-
Die Reduzierung der Möglichkeiten von Krebszellen, Tochtergeschwülste im Körper zu bilden, indem die Zellen davon abgehalten werden, sich zu bewegen oder in Nachbargewebe einzudringen.
-
Die Beschleunigung der zellinternen „Abfall-Ablagerungs-Maschine“ – ein Prozess, der als Autophagie bezeichnet wird –, was zum Zelltod führen kann.
Zusammengefasst sind Cannabinoide wirksame Substanzen, um zumindest einige Krebsarten bei Labortieren – Mäusen und Ratten – zu behandeln.
Hemmen Cannabinoide das Krebswachstum? (Anekdotische Hinweise bei Menschen)
Wie oben erwähnt, wurde nahezu sämtliche Forschung zur Untersuchung der Frage, ob Cannabinoide Krebs behandeln können, im Labor durchgeführt. Es ist daher wichtig, sehr vorsichtig zu sein, wenn diese Ergebnisse auf Patienten übertragen werden. Diese sind wesentlich komplexer als eine Petrischale oder eine Maus. Anekdotische Ergebnisse zur Cannabisverwendung waren in der Geschichte hilfreich zur Vermittlung von Hinweisen auf biologische Prozesse, die vom Endocannabinoidsystem kontrolliert werden und zum möglichen therapeutischen Nutzen von Cannabinoiden. Im konkreten Fall des Krebses gibt es Videos und Berichte im Internet, die argumentieren, dass Cannabis Krebs heilen kann. Diese anekdotischen Hinweise sind – zumindest bisher – extrem schwach und unklar.
Hier einige Beispiele, die zur fehlenden Klarheit beitragen:
-
Wir wissen nicht, ob der (angenommene) Effekt von Cannabis auf einem Placebo-Effekt beruht.
-
Wir wissen nicht, ob der Tumor aus natürlichen/endogenen Gründen nicht mehr weiter wächst – einige Tumoren verschwinden spontan aufgrund der Abwehrkräfte des Körpers gegen Tumoren.
-
Wir wissen nicht, wie viele Patienten Cannabis verwendet und keinen therapeutischen Nutzen erzielt haben. Wir kennen daher nicht die (angenommene) Wirksamkeit einer Therapie auf Cannabisbasis.
-
Da die meisten Patienten vor oder gleichzeitig mit der Cannabisverwendung vermutlich eine Standardtherapie erhalten haben, wissen wir nicht, ob die (angenommene) Wirkung von Cannabis in der Tat – zumindest zum Teil – auf der Standardtherapie beruhte, möglicherweise durch Cannabis verstärkt. Aber wir haben keinen Beweis.
-
Wir kennen nicht die einzelnen Parameter des Tumorwachstums, die überwacht wurden, und wie lange der Patient überwacht wurde. Viele der möglichen nützlichen Wirkungen von Mitteln gegen Krebs (oder in diesem Fall von Cannabis) sind nur kurzzeitige Wirkungen. Was ist aber mit dem langzeitigen Überleben ohne Tumorwachstum und dem Gesamtüberleben?
-
Krebs ist eine sehr heterogene Krankheit mit unterschiedlichen Arten, und bisher hat niemand eine ausreichend große Zahl von Patienten mit einer bestimmten Krebsart zusammengebracht, um die Auffassung unterstützen zu können, dass Cannabinoide bei diesem spezifischen Krebs wirksam sind.
Zusammengefasst ist es zwar möglich, dass Cannabiszubereitungen eine gewisse krebshemmende Aktivität bei einigen bestimmten Krebspatienten aufweisen, die anekdotischen Hinweise, die bisher vorliegen, sind jedoch sehr schwach und sind leider weit davon entfernt, die Annahme zu unterstützen, dass Cannabinoide wirksame Krebsmedikamente für Patienten darstellen.
Hemmen Cannabinoide das Krebswachstum? (Klinische Forschung)
Bisher wurden Ergebnisse nur von einer klinischen Phase I Studie, die untersucht hat, ob Cannabinoide Krebs bei Patienten behandeln kann, veröffentlicht. Neun Patienten mit fortgeschrittenem Glioblastoma multiforme – ein aggressiver Hirntumor –, der zuvor auf eine Standardtherapie nicht angesprochen hatte, wurde hoch gereinigtes THC über einen Katheter direkt in ihr Gehirn verabreicht. Unter diesen Bedingungen war die Cannabinoid-Gabe sicher und konnte ohne relevante unerwünschte Wirkungen erzielt werden. Auch wenn von dieser kleinen Patientengruppe, die ohne Kontrollgruppe behandelt wurde, keine statistisch signifikanten Schlussfolgerungen gezogen werden können, so kann doch gesagt werden, dass die erhaltenen Ergebnisse nahe legen, dass einige Patienten auf die THC-Therapie mit einer verringerten Wachstumsrate des Tumors ansprachen – zumindest zum Teil. Dies konnte mit bildgebenden Verfahren und der Analyse von Biomarkern nachgewiesen werden. Diese Ergebnisse waren ermutigend und verstärken das Interesse an der möglichen Nutzung von Cannabinoiden in der Krebstherapie. Allerdings unterstreichen sie auch die Notwendigkeit für weitere Forschung, die auf eine Optimierung der Cannabinoidverwendung hinsichtlich der Auswahl von Patienten, der Kombination mit anderen Krebsmedikamenten und der Nutzung anderer Wege der Einnahme abzielt.
Insgesamt gibt es viele unbeantwortete Fragen im Zusammenhang mit dem Potenzial, Cannabinoide als Antikrebsmittel zu verwenden, und es ist notwendig und wünschenswert, dass umfangreiche klinische Studien durchgeführt werden, um bestimmen zu können, wie Cannabinoide jenseits ihrer lindernden Wirkungen bei der Behandlung von Krebspatienten eingesetzt werden können.
Über den Autor
Dr. Manuel Guzman ist Professor an der Abteilung für Biochemie und Molekulare Biologie an der Complutense-Universität Madrid (Spanien). Er koordiniert die Gruppe zum Thema Cannabinoid-Signalgebung.