ACM-Mitteilungen vom 28. November 2020

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Vorstand der ACM hat eine Stellungnahme an die UNO von insgesamt 193 Nichtregierungsorganisationen aus 51 Ländern unterstützt. Darin werden die Mitgliedsländer der UNO, also auch die deutsche Bundesregierung, aufgefordert, den Vorschlägen der Weltgesundheitsorganisation zu folgen, die Einstufung von Cannabis so zu verändern, das der Zugang zu Cannabis für Patienten erleichtert wird.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, hat ihren Jahresbericht vorgelegt, der früher Drogen- und Suchtbericht hieß. Die Oppositionsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die FDP haben den Bericht erheblich kritisiert. Zwar wird im Bericht drauf hingewiesen, dass Jugendliche ohne Interesse am Konsum von Cannabis „in ihrer Konsumverzichthaltung gefestigt“ scheinen und daher „wenn der Zugriff auf Cannabis für Erwachsene gelockert werden würde, nicht in den Konsum einsteigen“ würden, diese Erkenntnis hat jedoch keine Auswirkungen auf die Politik der Drogenbeauftragten. Wenn nicht einmal zu erwarten wäre, dass eine Liberalisierung des Freizeitkonsums Erwachsener zu einem erhöhten Konsum bei Jugendlichen führt, wie wenig lässt sich dann die Kriminalisierung von Patienten rechtfertigen, die nach Auffassung eines Arztes Cannabis aus medizinischen Gründen benötigen, jedoch keine Kostenübernahme durch die Krankenkasse erhalten.

In den letzten ACM-Mitteilungen hatten wir berichtet, dass es eine Rückrufaktion bei einer bestimmten Charge von Cannabisblüten gegeben hatte. Ich wurde dann von aufmerksamen Apothekern darüber informiert, dass dies nicht die erste Rückrufaktion gewesen sei. Neben CanPharma hatte zuvor bereits Cannamedical einen Rückruf vorgenommen. Es hat bisher aber nur sehr wenige Rückrufe gegeben, und die betroffenen Unternehmen gehen offenbar sehr verantwortungsvoll mit möglichen Mängeln an der Apothekenware um.

Viel Spaß beim Lesen!

Franjo Grotenhermen

Inhalt:

Hausdurchsuchung nach Selbstanzeige wegen Anbau von Cannabis für medizinische Zwecke

Am 10. November fand nach Angaben des Patienten bei Markus Göttsche von der Patientenhilfe der ACM eine Hausdurchsuchung statt. Obwohl er sich im März 2020 selbst angezeigt hatte und daher nicht anzunehmen war, dass er Widerstand gegen die Durchsuchung leisten würde, sei die Polizei recht martialisch aufgetreten.

Herr Göttsche hat am 21.6.2016 eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Betäubungsmittelgesetz zur Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke von der Bundesopiumstelle erhalten, weil er an einem chronischen Schmerzsyndrom, einer ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Er leidet aufgrund von Bandscheibenproblemen unter einem Halswirbelsäulensyndrom (HWS-Syndrom) und einem Lendenwirbelsäulensyndrom (LWS-Syndrom), einem Morbus Scheuermann und einer Osteochondrose.

Am 17. März 2017 hat sein Arzt eine Kostenübernahme bei seiner gesetzlichen Krankenkasse gestellt. Die Barmer Ersatzkasse hat die Kostenübernahme zunächst für 2 Monate genehmigt, bis der MDK (medizinische Dienst der Krankenkassen) entschieden habe, dass kein Anspruch auf eine Kostenübernahme bestehe. Daraufhin wurde die Kostenübernahme eingestellt. Der MDK habe argumentiert, dass noch Opiate und das Antidepressivum Amitryptilin als Therapieoptionen infrage kämen. Eine Therapie mit Opiaten sei jedoch nach Auffassung seines Hausarztes aufgrund des bestehenden Asthma kontraindiziert. Amitryptilin sei nicht zielführend.

Ein Richter am Sozialgericht in Dortmund habe dann zu seinen Gunsten entschieden, sodass die Krankenkasse die Kosten erstatten musste. Die Krankenkasse habe vor dem gleichen Sozialgericht dann erfolgreich Widerspruch gegen diese Entscheidung eingelegt, weil Herr Göttsche nicht schwerwiegend erkrankt sei, sodass die Zahlungen nach einem halben Jahr eingestellt wurden. Der Richter habe aber zu verstehen gegeben, dass er erneut anders entscheiden könne, wenn sich der Gesundheitszustand des Klägers weiter verschlechtere. Der Gesundheitszustand habe sich dann in der Tat verschlechtert. Seither werde eine endgültige Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund hinausgezögert. Nach einem Eilantrag beim Landessozialgericht Essen habe dieses Gericht entschieden, dass die Sache vor dem Sozialgericht in Dortmund weiterverhandelt werden solle. Dort werde sein Fall jedoch verschleppt.

Während dieser Zeit konnte er sich irgendwann die Cannabisblüten aus der Apotheke finanziell nicht mehr leisten und hat begonnen, Cannabis selbst anzubauen. Er habe mittlerweile 28.000 € für sein Medikament in der Apotheke bezahlt. Er habe dann auch mit seinem Arzt die Selbstanzeige besprochen und sich am 25. März selbst angezeigt, damit Bewegung in seine Sache vor dem Sozialgericht kommt. Er habe das Sozialgericht in Dortmund im Oktober darüber informiert, dass man ihn zum Selbstanbau nötigen würde. Im Mai 2020 habe das Amtsgericht Dortmund einen Durchsuchungsbeschluss erlassen, der nun vollzogen worden sei.

Der ACM-Vorstand erfährt immer wieder von der großen Not vieler Patienten, die keine Kostenübernahme durch ihre Krankenkasse erhalten haben. Diese Patienten befinden sich häufig in einer verzweifelten Situation, da nicht nur Strafverfahren oder eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes drohen, sondern auch der Verlust des Führerscheins, was häufig einen Arbeitsplatzverlust nach sich zieht.

Werden die Leitlinien zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter weiter verschärft?

Ein Patient hat von Professor Tobias Banaschewski, Redakteur der aktuellen Leitlinien zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter erfahren, dass es hinsichtlich Cannabis möglicherweise eine weitere Verschärfung geben könne.

Bisher gibt es eine negative Empfehlung der Autoren der Leitlinien, weil es nach Professor Banaschewski keine Evidenz für die Wirkung von Cannabis bei ADHS gebe. Es gebe jedoch nunmehr Studien, die zeigen würden, dass Cannabis negative Auswirkungen auf die ADHS haben könnte, die „wir im Rahmen der Aktualisierung der Leitlinien dann aufführen werden".

Tatsächlich hat eine Anzahl von ADHS-Patienten im Jahr 2017 eine Kostenübernahme für eine Behandlung mit Cannabisblüten durch ihre Krankenkassen erhalten. Unter anderem gibt es eine kleine Placebo-kontrollierte Studie aus dem Jahr 2017, die eine gute Wirkung von Cannabis bei ADHS nahelegt. Nachdem dann die neue Leitlinie erschienen war, gab es nur noch in einzelnen Fällen eine Kostenübernahme. Alle anderen ADHS-Patienten stehen ohne ein legales wirksames Medikament da, wenn die Standardtherapeutika (Methylphenidat, Amphetamine, Atomoxetin) nicht wirksam sind oder sie sich das Cannabis aus der Apotheke nach Ausstellung eines Privatrezeptes nicht leisten können. Bemerkenswert ist, dass selbst ausgewiesene ADHS-Experten, wie beispielsweise Ärzte von ADHS-Hochschulambulanzen, für ihre Patienten im Allgemeinen gegenwärtig keine Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabis-Medikamenten erreichen können.

Dazu Dr. Franjo Grotenhermen: „Wenn Menschen mit ADHS sich selbst mit Cannabis behandeln, dann geht Cannabiskonsum vermehrt mit ADHS einher. Wie zum Beispiel in diesem Fall. Wer davon ausgeht, dass Cannabis bei ADHS nicht hilft, neigt dann leicht dazu, zu behaupten, dass Cannabis ADHS verschlechtert. Alle wirksamen Medikamente sind jedoch vermehrt mit den Erkrankungen assoziiert, gegen die diese wirksam sind. Starke chronische Schmerzen werden nicht durch Opiate verursacht, auch wenn die Verwendung von Opiaten vermehrt mit starken Schmerzen einhergeht, sondern sie gehen deswegen mit einer vermehrten Opiat-Verwendung einher, weil Opiate starke Schmerzen lindern können. Cannabis-Medikamente können bei der ADHS sehr wirksam sein. Darüber berichten übereinstimmend viele Patienten und ihre behandelnden Ärzte, darunter erfahrene Neurologen und Psychiater.“

Presseschau: Drogenkonsum: FDP, Grüne und Linke attackieren den Drogenbericht der Bundesregierung (Berliner Zeitung)

Die Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linke fanden deutliche Worte zum Jahresbericht der Bundesdrogenbeauftragten Daniela Ludwig (CSU). So kritisiert die FDP etwa den Mangel an belastbaren Daten und bezeichnet den Bericht, der viele Fotos der Drogenbeauftragten enthält, als „Ego-Show“ von Frau Ludwig. Die drogenpolitische Sprecherin der Grünen Kirsten Kappert-Gonther bemängelt, dass sich die Bundesregierung nicht „an das heiße Eisen“ Alkohol heranwage, obwohl Alkohol das Suchtmittel Nummer eins sei.

Drogenkonsum: FDP, Grüne und Linke attackieren den Drogenbericht der Bundesregierung

Daniela Ludwig, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, stellte in der Bundespressekonferenz am Donnerstag den neuen Jahresbericht vor. „Die Corona-Pandemie stellt alle Akteure vor immense Herausforderungen und schafft neue Suchtgefahren“, sagte sie. Insbesondere Kinder aus suchtbelasteten Familien litten unter den Folgen der Corona-Pandemie.

So habe unter anderem die Phase des Lockdowns die Belastungen in den Familien erhöht, weil Hilfsangebote nur eingeschränkt genutzt werden konnten und das schulische Umfeld weggefallen ist, heißt es in dem Bericht. Die Drogenbeauftragte habe daher unter anderem das Projekt „KidKit Learning“ initiiert, das Lehrer im Umgang mit Kindern aus Familien mit Suchthintergrund schulen und es ihnen so auch ermöglichen soll, Fälle schneller zu erkennen.

Wichtig sei, dass sich Suchtkranke auch während der Pandemie an Beratungsstellen wenden könnten, sagte Ludwig. Suchtkliniken müssten für alle offen bleiben.

Einen Schwerpunkt des Drogenberichts bildet die Cannabisprävention. „Während im Jahr 2020 so wenig Jugendliche rauchen und Alkohol trinken wie noch nie seit Beginn unserer Erhebungen, ist der frühe und regelmäßige Cannabiskonsum immer deutlicher zu einem Problem geworden“, schreibt Ludwig im Vorwort. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben 10,4 Prozent der 12- bis 17-Jährigen schon einmal Cannabis geraucht. Bei den 18- bis 25-Jährigen liegt der Anteil bei 46,4 Prozent. Mit der Kampagne „Mach Dich Schlau!“ wolle man Jugendliche daher in den sozialen Netzwerken über die Risiken des Cannabiskonsums aufklären.

Forderungen nach einer Legalisierung von Cannabis erteilte Ludwig wiederholt eine Absage. „Wir haben wirklich viel zu tun. Zu viel, um uns in kraftraubenden Debatten zur Legalisierung eines Stoffes zu verzetteln“, sagte sie.

Die Autoren warnen auch vor dem Konsum von Tabak. So haben Raucher ein erhöhtes Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung. Selbst ohne Pandemie stürben jährlich 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Das entspricht einem Anteil von 13,3 Prozent aller Todesfälle. „Tabak und Alkohol richten den größten Schaden aller Drogen an. Jeder Tote ist einer zu viel“, sagte Ludwig.

Dennoch habe man in der Eindämmung des Tabakkonsums aufgrund der Prävention Fortschritte erzielt. Der Anteil rauchender Jugendlicher befinde sich „auf einem historischen Tiefstand“. Demnach rauchen 5,6 Prozent der 12- bis 17-Jährigen, bei den 18- bis 25-Jährigen greift jeder Fünfte zur Zigarette.

Die Social-Media-Nutzung steigt während der Pandemie

Mit Sorge beobachten die Autoren die Zunahme des Gamings und der Social-Media-Nutzung. Eine Studie der DAK zeige etwa, dass zehn Prozent der 10- bis 17-Jährigen im September 2019 ein riskantes Spielverhalten aufwiesen. Bei 2,7 Prozent sei dieses pathologisch. Im Social-Media-Bereich zeigt sich ein ähnliches Bild. Während des Lockdowns sei die Nutzung der sozialen Netzwerke werktags um 66 Prozent auf 193 Minuten pro Tag angestiegen. Die Kampagne „Familie.Freunde.Follower“ soll diesem Trend entgegenwirken und mehr Medienkompetenz vermitteln.

Scharfe Kritik für ihren Bericht schlägt Ludwig aus der Opposition im Deutschen Bundestag entgegen. „Dieser Drogen- und Suchtbericht ist einfach nur peinlich“, sagte Wieland Schinnenburg, Sprecher für Drogen- und Suchtpolitik der Fraktion der FDP, der Berliner Zeitung. Er sei ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. So liefere er im Vergleich zu Vorjahren kaum belastbare Daten. Eigene Konzepte der Regierung, Themen wie Medikamentenmissbrauch oder die Wirksamkeit der präsentierten Maßnahmen würden fast vollständig ausgeblendet.

„Der Bericht enthält 30 Fotos der Drogenbeauftragten. Er dient offenbar in erster Linie der Selbstdarstellung von Frau Ludwig“, sagte Schinnenburg. Statt dieser „Ego-Show“ fordert er eine Neuausrichtung der Cannabis-Politik. Wenn 60 Prozent aller Rauschgiftdelikte auf Cannabis entfielen und selbst Jugendliche bei Dealern alles bekämen, sei kein sinnvoller Jugendschutz möglich. Daher sei eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene wichtig.

Die Linke fordert eine sofortige Legalisierung von Cannabis

„Mehr denn je liest sich der diesjährige Drogen- und Suchtbericht wie eine Erfolgsstory deutscher Drogenpolitik. Der Schwerpunkt auf die Prävention blendet aber die negativen Folgen der Repressionspolitik fast gänzlich aus“, sagte Niema Movassat, drogenpolitischer Sprecher der Linken, der Berliner Zeitung. Natürlich sei Prävention wichtig, doch müssten junge Menschen darüber hinaus einen verantwortungsvollen Umgang mit legalen und im Zweifel auch illegalen Drogen lernen. „Wir müssen aber vor allem den Besitz geringer Drogenmengen entkriminalisieren, weil Repression keine Hilfe ist.“ Daneben forderte Movassat die sofortige Legalisierung von Cannabis.

Zwar sei es erfreulich, dass in der Corona-Krise schnell im Bereich der Behandlung mit Substituten reagiert wurde. „Aber die Defizite sind hier noch immer so gravierend. Nur die Hälfte der Opioid-abhängigen Menschen wird subsituiert, denn es fehlen Substitutionsärzte.“ Allein 2019 sei die Zahl der Drogentoten um fast zehn Prozent gestiegen. „Das ist keine Erfolgsstory einer deutschen Drogenpolitik. Hier müssen wir dringend neue Wege einschlagen“, forderte Movassat.

Ähnlich äußert sich auch Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Drogenpolitik der Grünen im Bundestag. „Es müssen mehr Opioid-Abhängige Zugang zur Substitutionstherapie bekommen, auch zur Originalstoffvergabe mit Diamorphin“, sagte sie der Berliner Zeitung. Auch bei der Prävention des Alkoholkonsums müsse mehr getan werden. Obwohl Alkohol das Suchtmittel Nummer eins sei, wage sich die Bundesregierung nicht an „das heiße Eisen“.

Vernichtend fällt Kappert-Gonthers Urteil zur Cannabis-Politik aus. „Die Präventionskampagne der Drogenbeauftragten zum Cannabis-Konsum von Jugendlichen agiert schon wieder mit dem erhobenen Zeigefinger und wird genauso verstauben wie viele andere vorher.“ Sinnvoller seien Sachinformationen, eine Kommunikation auf Augenhöhe und ein Ende der Prohibition.

Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage

Suche nach dem nächsten Rausch (Wirtschaftswoche)

Zwischen Gut und Böse (Süddeutsche Zeitung)

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