Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss
In der Vergangenheit hatten Erlaubnisinhaber wiederholt Probleme mit den Führerscheinstellen, weil die Cannabisblüten nicht verschrieben wurden. Daher haben Erlaubnisinhaber formal gegen den § 24 des Straßenverkehrsgesetzes verstoßen, der eine Ordnungswidrigkeit vorsieht, wenn Drogen, die im Blut nachgewiesen wurden, nicht durch einen Arzt verschrieben wurden. Aber wie sieht es nach dem Inkrafttreten des neues Gesetzes aus?
Die momentare gesetzliche Lage ist folgende. Wenn Cannabis aus medizinischen Gründen eingenommen wird und eine Cannabis-Therapie besteht, erfolgt bei anschließender Teilnahme am Straßenverkehr keine strafrechtliche Verfolgung – vorausgesetzt, dass gewisse Bestimmungen zur Einnahme eingehalten werden und es zu keinem Unfall oder Auffälligkeiten kommt.
Cannabis-Patienten dürfen Autofahren – wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung eine medizinische Therapie stattfand
Ein Mitglied der ACM e.V. hat seinen Führerschein zurückerhalten, nachdem das Oberverwaltungsgericht Saarlouis entschieden hatte, dass ihm der Führerschein zu Unrecht entzogen worden war. Zwar befand er sich zum Zeitpunkt einer Hausdurchsuchung am 20. November 2017 noch nicht in ärztlicher Behandlung und verwendete illegales Cannabis zur Selbsttherapie, zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis befand er sich jedoch in ärztlicher Behandlung. Die Vorinstanz, das Verwaltungsgericht Saarbrücken hatte noch die Rechtmäßigkeit des Entzugs der Fahrerlaubnis bestätigt. Zu Unrecht.
Offensichtlich rechtswidrige Entziehung der Fahrerlaubnis
„Auf der Grundlage der fristgerecht vorgebrachten Beschwerdegründe im Schriftsatz des Antragstellers vom 2.7.2018 sowie der ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 24.8.2018, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ist festzustellen, dass die erstinstanzliche Entscheidung rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Die Verfügung des Antragsgegners vom 4.5.2018 erweist sich in allen Regelungsinhalten als offensichtlich rechtswidrig. Da an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann, ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen. Dies führt im Weiteren dazu, dass mangels Vorliegens eines vollziehbaren Grundverwaltungsaktes die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die angedrohte Ersatzvornahme anzuordnen ist.“
Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis liegen nicht vor
„Entgegen der Annahme des Antragsgegners liegen die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers gemäß den §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 11 Abs. 2, 14 FeV nicht vor. Auf der Grundlage der im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung und auch derzeit bekannten Tatsachen kann ohne weitere Sachaufklärung nicht von der fehlenden Fahreignung des Antragstellers ausgegangen werden.“
Vorlage eines ärztlichen Attestes vom 6. Januar 2018 und Dauerbehandlung mit Cannabis
„Der Antragsteller hat durch Vorlage des ärztlichen Attestes der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. C. vom 6.1.2018 sowie von Verordnungen dieser Ärztin aus dem Zeitraum vom 18.1.2018 bis 9.5.2018 glaubhaft gemacht, dass er seit Jahresbeginn 2018 aufgrund verschiedener Erkrankungen (ADHS, dreifacher Bandscheibenvorfall, mittlere bis starke Schlafstörungen) an einer ärztlich begleiteten Therapie mit Cannabisprodukten teilnimmt und dauerhaft ärztlich verordnete Cannabisprodukte einnimmt. Vor dem Hintergrund dieser ärztlich verordneten Dauerbehandlung mit Cannabisprodukten hat der Antragsgegner mit Blick auf die Regelungen in § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Vorbemerkung 3 sowie Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV keine tragfähigen Feststellungen dazu getroffen, ob bei dem Antragsteller eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß gegeben ist.“
Zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis am 4.5.2018 lag eine medizinische Therapie vor
„Bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 4.5.2018 und erst recht im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung,(vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 3 StVG Rdnr. 32) hier also der Zeitpunkt der noch zu erfolgenden Widerspruchsentscheidung – war und ist offenbar, dass die vom Antragsgegner dem Amtsarzt vorgelegte Fragestellung – Einnahme psychoaktiv wirkender Stoffe, bei Cannabiskonsum: Konzentration und Konsummuster der Vergangenheit – den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls nicht gerecht wird.“
Keine ausreichende Prüfung des Einzelfalles
„Nach der Vorsprache des Antragstellers am 6.2.2018 war dem Antragsgegner auf Sachbearbeiterebene bekannt, dass der Antragsteller seit Jahresbeginn Cannabisprodukte aufgrund ärztlicher Verschreibung einnimmt. Es hätte sich dem Antragsgegner daher aufdrängen müssen, unter Beachtung der Regelungen in § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Vorbemerkung 3 sowie 9.6.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV die Sachaufklärung nunmehr darauf zu richten, ob die Kraftfahreignung trotz der bekannten Erkrankung und der damit verbundenen Dauermedikation gegeben ist, ggf. ergänzt um die weiteren Fragen, inwieweit sich der illegale Raschgiftkonsum vor 2018 auf die Fahreignung noch auswirkt und ob neben der ärztlich verordneten Einnahme missbräuchlicher Cannabiskonsum stattfindet. (vgl. Merkblatt des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom November 2015) Der stattdessen einen „gewöhnlichen“ regelmäßigen Cannabiskonsum abhandelnde Bescheid vom 4.5.2018, in dem sich der Antragsgegner auch nicht ansatzweise mit der ärztlich verordneten Einnahme von Cannabisprodukten befasst hat, trägt den Besonderheiten des Einzelfalls ersichtlich nicht Rechnung.“
Der Patient erhielt keine Gelegenheit zur Anhörung
„Fehlerhaft ist die Verfahrensweise des Antragsgegners im Weiteren auch deshalb, weil gemäß der ständigen, vom Senat bereits beanstandeten Verwaltungspraxis des Antragsgegners entgegen § 28 Abs. 1 SVwVfG von einer Anhörung des Antragstellers abgesehen wurde. Entgegen der Behauptung des Antragsgegners lagen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Nr. 1 SVwVfG fallbezogen nicht vor. Nachdem die amtsärztliche Begutachtung mehrere Monate in Anspruch nahm, war die Angelegenheit bei Eingang des Schreibens des Amtsarztes vom 2.5.2018 keineswegs so dringlich, dass gerade mit Blick auf die dargelegten Besonderheiten des Einzelfalles selbst eine kurzfristige Anhörung des Antragstellers nicht mehr möglich war.“
Mangelnde Auseinandersetzung mit den Argumenten des Patienten
„Es drängt sich der Verdacht auf, dass von einer Anhörung des Antragstellers abgesehen wurde, um sich nicht mit zu erwartenden, einer standardmäßigen Entscheidung entgegenstehenden Argumenten auseinandersetzen zu müssen. Zwar kann die Anhörung gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 SVwVfG im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden und ist ein Verfahrensfehler unter den Voraussetzungen des § 46 SVwVfG unbeachtlich. Allerdings steht der Rechtsverstoß bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren im Raum. Der gesetzlich verbürgte Anspruch des Beteiligten auf Anhörung ist eine notwendige Folge des Rechtsstaatsprinzips und verfassungsrechtlich geboten. Sich darüber – zumal mit System – hinwegzusetzen, steht einer gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebundenen Behörde eindeutig nicht zu.“
Fehlerhafte Fragestellung an den Gutachter
„Soweit der Antragsgegner im gerichtlichen Verfahren nunmehr die fehlerhafte Fragestellung an den Gutachter einräumt, dem Antragsteller aber den Nachweis einer abweichend von der Regelvermutung ausnahmsweise noch bestehenden Fahreignung auferlegt, verkennt er, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis feststellen muss und damit der Frage nachzugehen hat, ob mit Blick auf die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß geben ist (Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV).“
Der Besitz von Betäubungsmitteln verlangt nur eine weitere Sachaufklärung, die allerdings nicht stattgefunden hat
„Entgegen der Annahme des Antragsgegners kann auch nicht deshalb von einer Fahrungeeignetheit des Antragstellers ausgegangen werden, weil bei einer Durchsuchung seiner Wohnung am 20.11.2017 – mithin zu einer Zeit, als der Antragsteller zugegebenermaßen wenngleich bereits aus medizinischen Gründen, aber dennoch illegal Cannabis konsumierte und die ärztliche Heilbehandlung noch nicht in Angriff genommen war – Cannabis gefunden und der Antragsteller deshalb durch Urteil des Amtsgerichts St. Wendel vom 24.4.2018 verurteilt wurde. Zu sehen ist, dass gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 der widerrechtliche Besitz von Betäubungsmitteln ebenfalls nur die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens und damit weitere Sachaufklärung rechtfertigt, was vorliegend indessen nicht stattgefunden hat.“
Der frühere illegale Cannabiskonsum rechtfertigt keinen Führerscheinentzug
„Für nicht überzeugend erachtet der Senat die Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass die Verordnung und Einnahme der Medikation zeitlich kurz nach dem regelmäßigen Konsum von Cannabis durch den Antragsteller erfolgt sei und nachträglich die Regelwirkung der FeV hinsichtlich seiner Fahreignung nicht berühre, vielmehr der vor der ärztlichen Verschreibung vom Antragsteller eingeräumte regelmäßige Konsum von Cannabis dessen Fahrungeeignetheit bedinge. Der frühere langjährige illegale Cannabiskonsum des Antragstellers mag zu Beginn der ärztlichen Behandlung noch Auswirkungen auf die Fahreignung gegeben haben. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 4.5.2018 und erst recht zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kann ein solcher Kausalzusammenhang jedenfalls ohne gutachterliche Feststellungen indes keinesfalls als erwiesen angesehen werden.“
Der deutsche Bundestag bezieht wie folgt Stellung
Cannabispatienten dürfen nach Angaben der Bundesregierung am Straßenverkehr teilnehmen, sofern sie aufgrund der Medikation nicht in ihrer Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sind. Die Patienten müssten also in der Lage sein, das Fahrzeug sicher zu führen, heißt es in der Antwort (18/11701) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (18/11485) der Fraktion Die Linke.
Patienten drohe keine Sanktion gemäß dem Straßenverkehrsgesetz, „wenn Cannabis aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis sei jedoch bei missbräuchlicher Einnahme eines cannabishaltigen Medikaments möglich. Wie es in der Antwort weiter heißt, kann die Fahrtüchtigkeit auch in der Einstellungs- und Eingewöhnungsphase von cannabishaltigen Arzneimitteln beeinträchtigt sein.
Für die derzeit rund 1.000 Cannabispatienten gelte die Ausnahmeklausel des Straßenverkehrsgesetzes. Zweck der Regelung sei, dass „durch die Medikation die grundsätzliche Fahrtüchtigkeit erst wieder hergestellt wird“. Die Wirkung der Substanz als Therapeutikum unterscheide sich deutlich von der bei missbräuchlichem Konsum. Drogenkonsumenten wollten sich berauschen, Patienten nähmen solche Substanzen, um einem Leiden entgegenzuwirken.
Die Patienten seien anders als Drogenkonsumenten auch sehr zuverlässig und verantwortlich und verhielten sich regelkonform. Gesetzlich nicht festgeschrieben sei, dass Patienten unter Dauermedikation einen Nachweis darüber mitführen müssten. Cannabispatienten werde jedoch empfohlen, beim Führen eines Fahrzeugs eine Ausfertigung des Betäubungsmittelrezeptes oder eine Bescheinigung des Arztes mitzunehmen.
MPU – Experten mahnen eine korrekte Anwendung der Begutachtung von Cannabispatienten an
Die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) und die Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) haben Verkehrspsychologen und Verkehrsmediziner eine Hilfe bei der Begutachtung von Fällen mit Fahreignungszweifeln bei der Verwendung von Cannabismedikamenten an die Hand gegeben.
Sie wurde im Auftrag der Vorstände der DGVM und der DGVP von der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien unter Mitwirkung von Prof. Matthias Graw erstellt „und soll bis zu einer Überarbeitung der Beurteilungskriterien (DGVP, DGVM, Schubert, W., Dittmann, V. & Brenner-Hartmann, J., 2013) und der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (BASt, Gräcmann, N., Albrecht, M., 2017), in denen diese spezielle Fallgruppe noch keinen Eingang gefunden hat, die Arbeit der Gutachter unterstützen und dazu beitragen, dass Fahreignungsgutachten nach möglichst einheitlichen Maßstäben erstellt werden können. Die Grundzüge der hier zusammengestellten Empfehlungen wurden auf dem 13. Gemeinsamen Symposium 5 der DGVP und DGVM am 6.-7.10.2017 in Leipzig in den Workshops 3 und 8 vorgestellt und diskutiert.“
Leider sind viele Polizeidienststellen, Führerscheinstellen und MPU-Stellen noch nicht ausreichend informiert.