ACM-Mitteilungen vom 8. Juni 2024

Liebe Leserin, lieber Leser,

am Donnerstag, den 6. Juni 2024, hat der Bundestag einen neuen THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum verabschiedet, während der Antrag der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt wurde. Wir gehen davon aus, dass die neuen Regelungen im Sommer in Kraft treten. Die Bundestagsdebatte mit Beiträgen von Dirk Heidenblut (SPD), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Kristine Lütke (FDP), Ates Gürpinar (Die Linke) und anderen kann in der Mediathek des Deutschen Bundestages abgerufen werden. In der Debatte wurden auch noch Nachbesserungen des im April verabschiedeten Cannabisgesetzes diskutiert. Die Internetseite des Bundestags enthält auch eine Liste von Sachverständigen und deren Stellungnahmen zum Thema THC-Grenzwert.

Heiter weiter

Franjo Grotenhermen

Inhalt

Presseschau: So viel Kiffen ist vor dem Fahren erlaubt (Rheinische Post)

Leider ermöglicht das verabschiedete Gesetz keine genaue Abschätzung, wie viel Cannabiskonsum vor der Teilnahme am Straßenverkehr möglich ist. Er wird geringe und moderate Konsumenten schützen können, die am Wochenende Cannabis konsumiert haben und am Montag von der Polizei kontrolliert werden, jedoch vermutlich nicht die, die mit einer größeren Regelmäßigkeit, also beispielsweise täglich in den Abendstunden den Tag mit einer Cannabiszigarette ausklingen lassen und am Folgetag kontrolliert werden. Daher sollten die von der Expertengruppe des Bundesverkehrsministeriums vorgeschlagenen Speicheltests für die Zukunft nicht aus dem Auge verloren werden.

So viel Kiffen ist vor dem Fahren erlaubt (Rheinische Post)

Das Parlament nahm in der Nacht zum Freitag einen Gesetzentwurf der Ampel-Regierung an, der den Cannabis-Grenzwert auf 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter im Blutserum festlegt.

Der Bundestag hat einen Grenzwert für Cannabis-Konsum im Straßenverkehr beschlossen. Das Parlamentsplenum nahm in der Nacht zum Freitag einen Gesetzentwurf der Ampel-Regierung an, der den Cannabis-Grenzwert auf 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter im Blutserum festlegt. Bei erstmaliger Überschreitung droht eine Strafzahlung von 500 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot. Zudem gilt nach dem Beschluss ein Alkoholverbot für Cannabis-Konsumenten.

Dies hatte eine Expertenkommission des Bundesverkehrsministeriums mit Blick auf die Liberalisierung des Cannabis-Konsums in Deutschland zum 1. April empfohlen. Bisher gibt es noch keinen Cannabis-Grenzwert für den Straßenverkehr. Damit gilt ein Verbot für den Konsum der Droge bei Teilnahme am Straßenverkehr.

Die Unionsfraktion hatte in einem eigenen Antrag gefordert, dies beizubehalten und vor einem Anstieg der Unfallzahlen gewarnt. Der Antrag von CDU und CSU wurde nun aber abgelehnt.

Der nun geplante Wert ist laut der Expertenkommission vom Risiko vergleichbar mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille. Mit dem Grenzwert sollen demnach nur diejenigen sanktioniert werden, bei denen der Cannabis-Konsum „in einem gewissen zeitlichen Bezug zum Führen eines Kraftfahrzeugs erfolgte“.

Neben der Neuregelung des Straßenverkehrsgesetzes beschloss der Bundestag auch Nachbesserungen am Cannabis-Gesetz selbst. Diese hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Ländern in einer Protokollerklärung zugesagt.

So soll unter anderem die bereits vorgesehene Evaluation des Cannabis-Gesetzes erweitert werden: Auf Wunsch der Länder sollen neben Auswirkungen auf den Kinder- und Jugendschutz auch die Besitzmengen und Weitergabemengen der Anbauvereinigungen untersucht werden. Die Ampel-Koalition will den Ländern zudem mehr Spielraum bei der Kontrolle der Anbauvereinigungen sowie beim Umgang mit Großanbauflächen ermöglichen. Darüber hinaus ist die Entwicklung eines Weiterbildungsangebotes durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für Suchtpräventionsfachkräfte der Länder und Kommunen vorgesehen.

Presseschau: Fachverbände kritisieren mangelnde Prävention in zweitem Cannabisgesetz (Deutsches Ärzteblatt)

Noch nie wurde in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland so viel und erfreulicherweise auch so sachlich über die Gefahren des Cannabiskonsums für Kinder und Jugendliche gesprochen. Das ist ein erfreulicher Anfang, den eine Prävention in Zeiten einer zunehmenden Enttabuisierung erlaubt. Einige Verbände sehen die Entwicklungen jedoch kritisch.

Fachverbände kritisieren mangelnde Prävention in zweitem Cannabisgesetz (Deutsches Ärzteblatt)

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verpasse mit seinem Entwurf zur Nachbesserung des Cannabisgesetzes die Chance einer dringend notwendigen Stärkung der Suchtprävention. Das kritisierten ärztliche und psychotherapeutische Verbände sowie Suchthilfevereinigungen heute einhellig bei der Anhörung des Gesetzentwurfes im Bundesgesundheitsausschuss.

Der neue Gesetzentwurf ist aus der Protokollnotiz hervorgegangen, mit der die Bundesregierung im Vorfeld der Abstimmung über das Cannabisgesetz im Bundesrat auf Einwände der Landesregierungen einzugehen versuchte.

Im Kern sieht der Entwurf vor allem Änderungen bei der Regulierung der sogenannten Anbauvereinigungen vor. So soll den Ländern mehr Flexibilität im Umgang mit diesen gegeben sowie die Möglichkeit eingeräumt werden, die Erlaubniserteilung für Anbauvereinigungen an örtliche oder regionale Besonderheiten anzupassen.

Außerdem soll die bereits vorgesehene Evaluation der Auswirkungen der Cannabisfreigabe erweitert werden, um so früh wie möglich erste Erkenntnisse zu erhalten, und ein Weiterbildungsangebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für Suchtpräventionsfachkräfte bereitgestellt werden, um die Anstrengungen der Länder zu unterstützen, die Suchtprävention zu verstärken.

„Wir sehen es positiv, dass Prävention jetzt mehr gedacht und angegangen wird“, erklärte Miranda Lee von der Bundesärztekammer (BÄK). „Was wir aber sehen, ist, dass das Angebot der BZgA zwar wertvoll ist, sich aber hauptsächlich online abspielt. Wir brauchen aber Prävention vor Ort.“

Es sei mehr lebensweltbezogene Prävention durch Fachkräfte nötig, die in Schulen, Vereinen und ähnlichem stattfindet. „Und das sehen wir in dem Änderungsgesetz nicht ausreichend adressiert“, monierte sie.

Dafür erhielt sie Zustimmung vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte (BVKJ) sowie von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

Das Angebot der BZgA sei bereits hilfreich, erklärte BVKJ-Referent Simon Hilber: „Was wir darüber hinaus aber anregen wollen, ist, dass die Peer Education gestärkt werden könnte durch Angebote der BZgA.“ Die zusätzliche Präventionsmaßnahme durch das vorgesehene Schulungsprogramm der BZgA sei zwar positiv zu bewerten, räumte auch DGPPN-Vorstandsmitglied Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank ein, „aber aus unserer Sicht reicht das nicht aus“.

Konzepte bundesweit ausrollen

Die BZgA müsse nicht das Rad neu erfinden, betonte Maximilian Plenert vom Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept). „Es gibt in der Fachwelt bereits sehr gute Konzepte, die aber nicht bundesweit ausgerollt werden“, sagte er. „Wir brauchen eine Arbeit, die Harm Reduction betreibt, denn da gibt es bei Cannabis eine große Lücke.“

Zudem sei durch die kontrollierte Cannabisfreigabe ein Anstieg des Konsums, auch und vor allem unter Minderjährigen, zu erwarten, unterstrich Hilber. Es sei weltfremd, zu glauben, dass 18-Jährige auf den legalen Konsum von Cannabis verzichten würden, weil 17-Jährige oder noch Jüngere anwesend sind.

„Wir müssen konstatieren, dass eine Normalisierung des Cannabiskonsums in der Öffentlichkeit Auswirkungen haben wird“, betonte er. An dieser Normalisierung trage aber auch die Kommunikation der Bundesregierung eine Mitschuld, wenn sie mit Slogans wie „Bubatz legal“ in Jugendsprache für ihr Vorhaben werbe.

„Insofern sind große präventive Anstrengungen notwendig“, sagte er. Das sei allerdings auch vor dem Cannabisgesetz schon der Fall gewesen, der BVKJ spreche sich für eine Ausweitung der Prävention auch bei Alkohol und Tabak aus.

Auch BÄK und DGPPN gehen von einer Zunahme aus. Wenn man eine Markterweiterung durchführe und dadurch die Verfügbarkeit einer psychoaktiven Substanz erhöhe, führe das selbstverständlich zu mehr Konsum, merkte Lee an.

Das werde auf eine jetzt schon wachsende Beanspruchung der Ärzteschaft durch die Folgen riskanten Cannabiskonsums treffen. „Wir wissen aus Krankenkassendaten, dass sich der Behandlungsbedarf von 2012 bis 2022 deutlich gesteigert hat. Wir erwarten, dass es eine weitere Konsumsteigerung gibt“, erklärte sie. Gerade im Rehabereich würden jetzt schon mehr Kapazitäten benötigt.

Auch wisse man aus anderen Ländern, die Cannabis als Genussmittel in den vergangenen Jahren freigegeben haben, dass die Freigabe mit einer Steigerung des Konsums und dadurch des Behandlungsbedarfs einhergehe – auch wenn die Ergebnisse aus den verschiedenen Ländern inkonsistent seien.

Sie halte den vorgesehenen Zeitraum von vier Jahren, der für die Evaluation vorgesehen ist, für zu kurz, um schwerwiegende Effekte nachzuweisen. Außerdem dürfe die Evaluation nicht ins Leere laufen. Sollte sie ernste Folgen belegen, müssten umgehend Konsequenzen gezogen werden. Auch hier herrschte Einigkeit mit dem BVKJ und der DGPPN.

Eine mögliche mittelbare Gesundheitsgefährdung sahen Sachverständige und Verbände aus der Cannabiswirtschaft wiederum durch die strengeren Vorgaben für die Anbauvereinigungen. So soll der Gesetzentwurf verhindern, dass die Vereine gemeinsam Anbauflächen oder auch nur dasselbe Gebäude nutzen, und Dienstleistungen rund um den Anbau eingeschränkt werden.

„Damit sollen gewerbliche Geschäftsmodelle verhindert werden, die auf Großanbauflächen mit Paketleistungen für Anbauvereinigungen basieren“, heißt es im Gesetzentwurf. Die Regelungen sollten den „nichtgewerblichen Eigenanbaucharakter der Anbauvereinigungen für den Eigenkonsum der Mitglieder“ sicherstellen.

Allerdings könne das kontraproduktiv sein, betonte der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap. Denn Zusammenlegung und Skalierung würden helfen, unkomplizierter und kostengünstiger zu produzieren. „Ich habe die große Befürchtung, dass man damit letztlich den Schwarzmarkt befeuert, indem man es sehr schwer macht, Cannabis legal zu beziehen“, sagte er. „Je einfacher es ist, legal Cannabis zu beziehen, desto kleiner wird der Schwarzmarkt.“

Insbesondere in Großstädten und Ballungsgebieten würde es durch die neuen Regelungen umso schwerer und teurer für Anbauvereine, Räumlichkeiten zu finden, erklärte der Geschäftsführer des Branchenverbands der Cannabiswirtschaft (BVCw), Jürgen Neumeyer. Hinzu kämen Investitionen in die Technik: „Für größere Anbauvereinigungen wird es schnell sechsstellig und ich kenne keine Bank, die einer Anbauvereinigung dafür einen Kredit bereitstellen würde.“

Modellierungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Cannabis-Anbauvereinigungen (BCAv) kämen zu dem Schluss, dass die neuen Regelungen zu einer Verringerung der legalen Cannabismengen um 50 Prozent führen könnten, erklärte der stellvertretende Koordinator der BCAv, Peter Reinhardt. Das werde auch zu weniger Einwirkungsmöglichkeiten für Präventionsangebote führen.

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